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Pandemonia 44 - Wendy/Zeit

Eine Konversation unter freiem Himmel und eine Konfrontation zwischen zwei Bürgern. Der eine sitzt in einer Gruppe auf dem Gehweg, während der andere dauerlaufend mit Familie diesen Gehweg entlang kommt. Im Vorüber weist er den Sitzenden zurecht, er möge doch wie alle den Sicherheitsabstand einhalten und nicht den Gehweg blockieren. Es entsteht Anspannung, die sich im gegenseitigen verbalen Abschätzen über eine Distanz von ca. 15 Metern entlädt. 

Ich saß dabei und reagierte mit einem breiten Lachen, da ich das ganze sehr absurd fand. Aber jetzt im Nachhinein denke ich, vielleicht lachte ich aus Verteidigungsgründen. Also dem Lachen als abstrahiertes Zähnezeigen und Angriffsbereitschaft demonstrierend. In vielen angespannten Situationen setzte ich dieses Lachen auf. Und zog damit Unmut auf mich. 

Später an diesem Tage saß ich dann mit jemandem zusammen, mit dem ich schon länger viel Zeit verbringe, aber zum ersten Mal recht ausführlich Konversation geführt habe. Und frage mich im Nachhinein: Musste erst so viel Zeit vergehen, damit es dazu kam? Oder ist es das neue Bedürfnis der Menschen nach Austausch? Wenn ich in mich hineinhorche, denke ich: Ich bin einfach dem Gefühl nachgegangen, dass ich in diesem Moment hatte. Ohne weiteres Grübeln. 

Kenne ich die Person jetzt besser? Ich würde sagen, wir haben Facetten und Sichtweisen ausgetauscht und auch Unsicherheiten über den Zustand der Gesellschaft in der wir uns befinden im steten Wechsel zwischen dem Eingeständnis einer bevorstehenden Apokalypse und gegenseitigen Beschwichtigungen, dass es ja nicht so schlimm werde.

*

Die Nacht verging merkwürdig traumlos und die Zeit verstrich sehr langsam. Ich erwachte mehrmals und schaute stets glücklich auf die Uhr, dass der Tag nicht etwa schon sehr weit vorangeschritten war, wie ich vermutete, sondern noch nicht einmal richtig begonnen hatte. Und obwohl nur zwei Stunden zwischen der Bettung und dem ersten Blick auf die Uhr vergingen, fühlte ich mich, als hätte ich ausgiebig geschlafen. Ein Trugbild? 

Nach dem Aufstehen begab ich mich zur Kaufhalle, um Nahrungsmittel zu kaufen. Ich sah die Menschen und alles erschien mir langsamer als normal. Nicht, dass sich alle in Zeitlupe bewegten, aber etwas zögerlicher als normal. Als hätte jemand das Youtube Video unserer Zivilisation auf 0.95% der Wiedergabegeschwindigkeit gestellt. Diese Verzögerung erlaubte mir, die Handlungen und Gesichtsausdrücke der Leute deutlicher wahrzunehmen. 

Eine Frau im Geschäft empörte sich darüber, dass es kein Brot mehr gäbe und fragte mich, ob ich an ihr vorbei möchte, da sie jetzt nach Brötchen schauen müsse. Das ganze mit einem leicht aggressiven Ton. Nicht explizit gegen mich gerichtet, aber ein Zeichen ihrer Anspannung. In mir erwachte dadurch der altbekannte Gedanke, dass es noch viel schlimmere Probleme auf uns zukommen können, als das wir statt Brot mal Brötchen kaufen müssen. Ich sah auch Menschen mit Kindern auf Wiesen sitzen, glücklich. Und fragte mic, wie lange dies noch möglich sei. 

Auf der Straße gegenüber lag ein umgekippter rosa Puppenwagen und eine Mutter hielt ein Kind im Arm, während der Vater auf dem Gehweg verstreutes Spielzeug zusammensammelte. Ich glitt mit meinem Fahrrad daran vorbei und schaute auf die Plakatwände, mir ihre Konsuminformationen entgegen hielten. Eins zeigte junge Menschen, die sich mit Getränken erfrischen. Daneben ein bemuskelten Mann mit zwei Pistolen, links von ihm die Abbildung mannshoher schwarzer Dosen, gefüllt mit Energie-Cola-Mixgetränken. Wie lang wird das alles noch relevant sein? Hat es jetzt schon an Relevanz verloren? Eine weitere Plakatfläche, die ich passierte, war komplett weiß, nur ein A3 Papier mit der Information das 20000 Menschen im Geflüchtetenlager in Moria auf Lesvos festsitzen klebte etwas schräg darauf. Und ich fragte mich erneut: Wie lang wird das noch relevant sein?

Mich beschlich ein Gefühl der Beklemmung und ich erinnerte mich an das Gespräch von gestern Abend. In einer flimmerneden Dunkelheit sagte mein Gegenüber,  dass wir jetzt gerade, zu dieser Zeit, den Zenit an Wohlstand erreicht haben, den wir in unserem Leben erleben werden. Ich nickte stumm und wir tranken vom Whiskey, dessen Name, wenn man die Buchstaben umstellen würde, "Traum" lautete.

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