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Sätze kommen herein / Doch wollen nicht bleim

Kaulquappen aus dem Schulgarten mitnehmen - von stehlen kann hier nicht die Rede sein. Eine Quappe gehört niemandem außer sich selbst, es sei denn sie lebt auf der Farm eines Froschschenkelexporteurs. Die Quappen kommen in einem Glas mit nach Haus, das Glas verborgen im Ranzen. Die Quappen ganz durchgeschüttelt dann ins alte Aquarium zusammen mit Seewasser und ein paar Algen. Eigentlich war es Vaters Idee, der hatte auch mal welche von einem kleinen Teich mitgebracht. Jeden Tag wurden die Tiere etwas größer und veränderten sich. Von kleinen schwarzen Kugeln mit einem fadenartigen Schwänzchen, entwickelten sie sich zu Lebewesen mit richtigen Augen und auch Knochen. Ihnen wuchsen erst Hinterbeine und dann kleine Arme, die Schwänze schrumpften und dann krochen sie auf das kleine Stück Land im Aquarium. Dann wurden es weniger. Ich hatte erst die Katze verdächtigt, die sie vielleicht rausgefischt hat. Aber als dann nach und nach auf den Zimmerteppichen kleine vertrocknete Frosch- und Molchleiber (es waren auch Molche unter den Quappen) auftauchten, war klar, dass die Tiere selbst den Weg in die Freiheit und damit in den Tod suchten. 

Warum nur? In den Grenzen des Aquariums hätten sie leben können, hätten weiter Futter bekommen, aber sicher waren sie fasziniert, als sie bereits beim Schwimmen in einem früheren Stadium ihres Daseins an die unsichtbare Wand stießen, die ihre Welt begrenzte. Als sie dann Beine und Saugnapffüße hatten, kletterten sie am Rand ihrer Realität nach oben, bis an die Kante, beugten sich darüber und sprangen. Noch eine Weile ging es dann über die trockenen Ebenen der Teppichwüsten, bis auch den letzten Frosch die Kräfte und Flüssigkeiten verließen. Der junge Frosch bezahlt die Freiheit mit dem Tod. Der Mensch kann die Gefangenschaft aushalten, weil er sich in Fantasie flüchten kann, die dem Frosch fehlt. Mit dieser Fantasie kann er sich einreden, dass es doch so wie es ist, in Ordnung ist oder sich gleich in eine parallele Welt flüchten. Andererseits gibt es ja auch das Experiment mit dem Frosch der langsam gekocht wird und es nicht bemerkt. Aber da ging es nicht darum, zu schauen, wie viel Fantasie ein Frosch hat. Ich frage mich, ob die gekochten Frösche dann wenigstens gegessen wurden? Alles muss doch einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden. 

So ist es auch mit der Erinnerung, in diesem Fall mit der, an die vertrockneten Froschkörper. Bevor die in meinem Kopf einfach herumliegen und einstauben, werden sie zu Text verarbeitet. Froschsuppe, Froschtexte...und das trügerische Gefühl von Entspannung. Ich liege mit offenen Augen im Dunkel, schließe sie, versuche den Unterschied in den Formen zu erkennen, der sich aus offenen und geschlossenen Lidern ergibt. Ich traue der Ruhe nicht, verwerte die angstfreie Zeit auch sofort dafür, darüber nachzudenken, wie lange es, in Anbetracht dessen, was in der Welt vorgeht, noch dauert, bis der relative Frieden auch für mich beginnt zu bröckeln. Und während ich funktionslos blinzele und mir dabei den Zusammenbruch der Gesellschaft vorstelle, wird mir eins klar: Für mich allein ohne sozialen Kontext, wäre es erträglich, ich würde noch eine Weile Leben und dann sterben. Aber ich zerbreche an der Vorstellung des entstehenden Leides aller Menschen, die mich umgeben und an der Tatsache, dass alles was uns heute als normal und nichtig erscheint, ein bisschen Feiern, durch den Wald laufen, Kaulquappen beim Wachsen zusehen von so einem Zusammenbruch einfach weggefegt werden würde von einer brutalen neuen Realität.

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