"Hier ist der Zug lang gefahren, direkt vor den Fenstern. Da haben Familien gewohnt und da sind sie zur Arbeit gegangen." - S. zeigt mit der Hand und dem dazugehörigen Arm ins Dunkel und ich bin wie immer glücklich, wenn mir einer was erzählt und ich nicht selber reden muss. Schweigen und zuhören - so mag ich es. Wir laufen durch die Nacht, weil es hier um die Ecke gute Pommes gibt und die Trinkerei noch nicht vorbei sein soll. "Das letzte Mal bis Weihnachten 2028" - so lautet meine Prognose, jedes Mal, wenn der Schnaps ins Glas fällt. Als es noch hell war und Regen fiel, stapelten wir Holz in jede freie Ecke des Raumes, damit es im Laufe der nächsten Monate verbrannt werden kann. Wärme als essentielles Bedürfnis. Und das Feuer, so sagte S., möchte niemand ausgehen sehen, eher noch, soll es immer größer werden, so wie die Scheiterhaufen in den Mittelaltern. Der Kamin und das Lagerfeuer als Orte der Moral. Ich sehe in die Flammen und schon vor langer Zeit erkannte ich, sie sind nicht weich, wie ich glaubte, sie sind spitz und lodern, greifen um sich und ziehen die Energie aus den Dingen die in ihnen stehen, aus denen sie ja eigentlich auch herauskommen, wenn sie heiß genug sind. Und dann wache ich wieder auf und ein neuer Tag ist da, an dem wieder Sachen zu tun sind. Und wie ich diese Sachen tue, erfüllt von der Kraft des Restalkohols und noch bevor die Übelkeit einsetzt, das entzieht sich meiner Erkenntnis - es ist ein neutrales Funktionieren, das sich nach außen gar nicht zu unterscheiden scheint von meiner normalen, nüchternen Existenz. Nüchtern und schüchtern - das möchte ich sein. Später liege ich im Bett und höre dem Rütteln des Windes am Fenster zu, wie er immer rüttelt und ich schüttle mich, denn die Übelkeit bricht herein und ich bekomme Angst, weil ich mich nicht an die Wege erinnern kann, die ich heute morgen zurück legte. Bekomme Angst, wieder davon gekommen zu sein und nicht unter ein Auto, frage mich, wie sehr ich Automat geworden bin...irgendwann erhebe ich mich dann und stelle fest, das die Luft aus dem hinteren Reifen meines Fahrrads nach einem Tag schon wieder raus ist und schon wieder erschrecke ich mich, nicht, weil ich glaube, dass mir jemand den Reifen zerstochen hat, sondern, ich im Hausflur stehe und den doch sehr komplizierten Vorgang hinter mich bringe, den Reifen meines zweiten Fahrrads, der ebenfalls luftleer ist irgendwie hinter mich bringe. Es ist ein Fahrrad mit Trommelbremsen und ich drehe und rüttle an mehreren Drähten, die jetzt ab müssen, denn ich muss wirklich los und auch die Madenschraube, die diesen einen Draht festhält, löse ich aus ihrem rostigen Dasein. Mehrmals fallen mir einzelne Teile aus der Hand und ich suche den Boden nach ihnen ab, fluche und finde sie wieder. Und wundere mich weiter, wundere mich, das das Licht im Hausflur die ganze Zeit an ist, nicht einmal ausging, deute es als gutes Zeichen und irgendwann bin ich dann fertig mit dem Prozedere. Inzwischen ist es draußen wieder dunkel und ich scheppere durch den Regen, bin der Zug, direkt vor euren Fenstern, der über das glitschigen glänzende Kopfsteinpflaster in ein anderes Leben zu gleiten versucht. Winkt ihm zu, dann pfeift er euch einen Blues.
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