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Keine Vogelkinder/Schreien immer

Notiz in eigener Sache:

Am 4.11. erscheint mein Buch "Die Schwerkraft provozieren" im Gansverlag Berlin. Eine Sammlung von Texten aus den letzten drei Jahren. Roadtrips, Klaggesänge und viele Traumnotizen. Martina Hefter schreibt in ihrem Nachwort: Timm Völkers Texte sind eigentlich Abenteuererzählungen. Man weiß nie, wo man hingeführt wird, auf ein Hausdach, in den Park, in einen Traum. In neue Erkenntnis definitiv.

Das Buch ist überall erhältlich. Ordert es am besten in eurem Local-Bookstore. Die brauchen Support!

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Aus Träumen erwacht in denen ich einem Song auf einem Festival zuhörte, der Deichkind-Anmutung hatte. Also mit einem Beat, elektronischem Charakter und pointenreichen Strophen, an die ich mich natürlich nicht erinnern kann. Nur der Refrain blieb mir noch in Fetzen erhalten: "Irgendwann reicht's/Jetzt muss etwas passieren"...schon im Traum dachte ich, dass ich mir den unbedingt merken muss, aber das Tageslicht wischte alles weg. Nichtsdestotrotz war das Erwachen äußerst angenehm, da ich zuerst angeregt durch sanfte Wasserspritzer meinen Weg in den diesseitigen Teil der Realität zurück fand: Es war der Regen, der vom Wind durch das angekippte Fenster in mein Gesicht gesprüht wurde und ich wähnte mich auf dem Rücken der großen Schildkröte, die mich sonst immer auf einem Fluss durch den Sumpfwald ins Land des Schlafes bringt. Als ich die Augen dann öffnete sah ich einen grauen Himmel und hörte das Trippeln der Regentropfen auf dem Fensterblech. Es könnten auch große Spinnen in Gummistiefeln oder Halbschuhen mit festen Sohlen sein, die da übers Fensterbrett rennen oder an die Scheibe klopfen und um Einlass bitten. Es ist ja jetzt die Jahreszeit, in der vor allem die zweijährigen Raubspinnen in Häusern ihre Winterquartiere aufsuchen. 

So auch letztens im Heim, als ich glaubte, einen Staubball über den Boden wehen zu sehen, der sich als handtellergroße Hausspinne herausstellte, die sehr zielstrebig und einen großen Schatten werfend auf den Tresen zulief, um sich einen Drink zu genehmigen. Zum Glück war noch eine andere Person anwesend, die angstfrei die Besucherin in ein Glas und dann nach draußen verfrachtete. Angstfrei sein, das wäre doch mal was. Nachdem P mich letztens spontan darauf aufmerksam machte, dass ich doch gut beraten wäre, im Stile Townes Van Zandts in eine abgelegene Hütte zu ziehen, stieg ich im Sachsen-Anhaltinischen Outback einen Pfad bergauf. Links und rechts waren dichte Büsche und auch Bäume, die höhlenartig schienen. Ich fand in ca. 30 Metern Entfernung eine kleine Hütte vor, die so schien es mir, P's Vorschlag entsprach. Und ich setzte mich dort eine Weile auf die kleinen Steinstufen. 

Es dauerte nicht lange, bis drei Mücken gleichzeitig auf meinen unbedeckten Unterarmen landeten und nach meinem Blut trachteten. Ich erschrak und wischte sie weg. Als Städter hatte ich dieses Jahr wenig Begegnungen mit Mücken. So bin ich immer wieder von der Insektenvielfalt überrascht. Nach ein paar Minuten des Verweilens, wollte ich doch einmal schauen, was sich im Inneren der Hütte befand und ich löste den grünen Zaundraht, der um einen Türknauf gewickelt, dafür sorgen sollte, dass die Tür, die eigentlich nur ein Brett war, zu blieb. Beim Öffnen dieses Brettes erklang ein knisterndes Geräusch, dass mir nicht gänzlich unbekannt, aber in dieser Intensität noch nicht häufig begegnet war. Und ich realisierte, dass die gesamte Tür von dicken Netzen, Trichternetzen, also den Wohnstätten von Jagdspinnen überwuchert war, die durch mein Öffnen, wahrscheinlich das erste in diesem Jahr, das knisterende Geräusch erzeugten. Ich schaute durch den Spalt ins Innere der Hütte und sah eine riesige Spinne, die mich dort auf einer alten Schulhort-Schlafliege sitzend, zu sich bittet, in dem sie mit einem ihrer Bein eine lockende Bewegung macht. 

Ich schloß die Tür ganz langsam und trat den Weg nach unten an, zurück in die Zivilisation, wo man mich Jesus zu nennen pflegte, weil ich mich gerade nicht rasiere, dadurch eine spröden Bart habe und lange Haare sowieso...es wurden dann Songs gespielt, die goutiert wurden und auf dem Rückweg dachte ich darüber nach, dass es gut ist, dass auf dem Land für Kultur gesorgt wird, also Musikerinnen und Musiker eingeladen werden und damit für einen Grund sorgen, dass die Gemeinschaft zusammenkommt und ein paar neue Eindrücke bekommt. 

Am Ende ist es auch genau das, wofür Musik da ist: Menschen einen Grund geben, sich zusammenzufinden und im Anschluss miteinander ins Gespräch zu kommen. Mehr ist doch gar nicht nötig, um den Idioten weniger Möglichkeiten zu geben, ihre sinnlosen Gedanken zu verbreiten. Einfach zeigen, dass es andere Möglichkeiten gibt und den Menschen die Entscheidung selbst überlassen, was sie wollen. Keine Belehrung. Und wenn sie sich dann doch für den Weg zurück entscheiden, bleibt immer noch die Einladung der Spinne in der Hütte zu leben. Zumindest so lange, bis ich aufgegessen werde. Davor würde ich aber noch einen Song schreiben mit dem Titel: "Wer AfD wählt, wählt Nazis und Nazis sind Mörder." Ende.

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