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Nenn mich VIELLEICHT/Der Wolkenwolf

Ich lag in einer Böschung, mit den Füßen oben und dem Kopf am Grund zwischen Gestrüpp und feuchter Erde. Diese schräge Position ermöglichte es mir in Kombination mit der nach unten ziehenden Schwerkraft nicht, mich wieder aufzurichten. Nur den Kopf konnte mich mit Mühe in Richtung Brustkorb ziehen, um zu sehen, wo ich bin. Auf mir lag mein Fahrrad, um mich war die Nacht und ich spürte den Mix aus Überlebensdrang, mich hier raus zu winden, aber auch wie die Angst hier ewig liegen zu bleiben, sich mit dem beruhigenden Gefühl vermischte, dassd Schicksal anzunehmen, noch eine Weile mit den Insekten zu reden und dann von Pflanzen überwuchert zu werden. 

Ich konnte mir nicht erklären, wie ich in diese ungünstige Lage gekommen war, denn der Weg, der oberhalb der Böschung verläuft, ist mir vertraut. Vielleicht war es der Mangel an Gleichgewichtssinn, der mich beim Abbiegen vom Weg am Fluss entlang in den Wald, durch die Sträucher nach unten stürzen ließ. Gut möglich, dass es neben dem normalen physikalischen Gleichgewichtssinn, aber auch der andere war, jener, der dafür sorgt, dass die positiven und negativen Erinnerungen in einem ordentlichen Verhältnis zueinander stehen oder überhaupt in einem Verhältnis zu einander. Und scheinbar liefen die Dinge in den letzten Tagen recht gut für mich. 

Zum Beispiel der schöne Moment, als ich die extrem weiche Hand des Kassierers im Supermarkt streifte, als er mir das Wechselgeld zurück gab und ich erstaunt war, über die haptische Überraschung die damit einherging und wie sie nach einer halben Sekunde schon wieder vorbei war. Daraufhin die Feststellung, dass ein in der Wirklichkeit extrem kurzer Moment, eine Erinnerung schaffen kann, die länger ist als dieser Moment selbst, dass Erinnern an die Situation, das Licht, die Farbe des Warenbandes und die Weichheit der Haut länger sind, als die Situation an sich. 

Scheinbar muss dann also solchen Erinnerungen etwas entgegengestellt werden. So war es schon immer. Und bevor es schon immer so war, stellte ich mich in jedem Moment positiver Art darauf ein, dass gleich etwas geschieht, dass ihn, den schönen Moment, hinweg weht. Und irgendwann fing ich eben an, selber dafür zu sorgen, dass die schönen Momente vergehen. Ein kläglicher Versuch, Kontrolle über die Glücksverteilung zu bekommen, in dem ich für Unglück und Kontrollverlust sorgte. 

Und so trank ich, und so schwank ich und rollte die Böschung hinab und blieb so lange liegen, bis die Launen wieder in Einklang waren, genauer gesagt, die Schlechte wieder regierte, mich nach unten drückte. Wobei die Schwerkraft und mein auf mir liegendes Fahrrad daran auch einen Anteil hatten. Als ich da so lag, spürte ich meine Kraft, die nicht reichte mich aufzurichten, weil sie kleiner war, als die Kraft, die mich nach unten zog und damit einher ging ein Resignation und eine gewisse Wut auf das Wissen über physikalische Gesetze, dass einem in so einer Situation auch nichts nutzt, außer, dass man weiß, warum man aus seiner nicht wieder herauskommt. So blieb ich also eine Weile still liegen bevor das unwissende Tier in mir begann sich zu winden und zu drehen, weil es nicht in dieser Erdsenke enden wollte. Ich stöhnte sicher auch, geflucht habe ich aber nicht.

Nach einiger Zeit schaffte ich es zumindest mein Fahrrad von mir zu stoßen und dann begann ich mit schwingenden Bewegungen meines Oberkörpers mich aufzurichten, um mich letztlich zu drehen und die Böschung hinaufzukriechen. Oben angekommen, tastete ich meine Jackentaschen ab, zum Glück trug ich eine M65 und tatsächlich war alles noch da, trotz meiner Windungen im Dreck. Ich zog mein Fahrrad nach oben, dass die Pflanzen am liebsten behalten hätten, denn sie hatten bereits ihre Wurzeln um die Pedalen geschlungen und ich verlor beinah noch einmal das Gleichgewicht, doch wusste einen erneuten Sturz in die Tiefe zu verhindern. 

Dann schaute ich über das Flussbett, sah im Osten das Schwarz der Nacht ein wenig ins Blau kippen und erhob meine Stimme zu einem wortlosen Singsang, dem ich dabei zuhörte, wie er über das Wasser strömte und in einiger Entfernung von den Bäumen und den dahinter liegenden Mauern reflektiert wurde. Und ich versuchte mir diesen Klang einzuprägen, mir diesen Moment in Erinnerung zu halten, als einen aus dem Unguten und dem Kampf mit der Erde entstandenen Moment des Friedens und der Erschöpfung. In der Hoffnung den Bann zu brechen.

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