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Die Zähmung/Der Sog

"Ein, aus, ein, aus, ein, aus, ein und aus..." - so lag ich da und versuchte die kreisenden Gedanken zur Existenz in meinem Kopf auszuschalten. Die Konzentration auf den Atem, der ein zentraler Bestandteil des Lebens ist, soll für Klarheit im Geist sorgen, weil sie alle anderen Geistaktivitäten überlagert und zähmt. Und ich lag im Dunkel und beobachtete mich, wie ich im Geiste "ein, aus, ein, aus...usw." sagte und das funktioniert tatsächlich eine Weile, aber wie auch immer sie es machen, die Gedanken schleichen sich zwischen die Atemzüge und sind wieder präsent. Gedanken über die Möglichkeit als Quereinsteiger Pfarrer in einer Dorfgemeinde in Sachsen-Anhalt zu werden, Gedanken dazu, wie unglaublich es ist, das mein jetziges Leben funktioniert und dann die Beunruhigung im Brustkorb darüber, wie lange das noch so funktionieren kann. Und dann der Vorwurf, es bisher nicht besser hingekriegt zu haben und stattdessen auf einer Welle mehr oder weniger unüberlegt und ohne Plan bis hier her geglitten zu sein. Rückblickend betrachtet erscheint mir diese Situation, als hätte ich keine Kontrolle über das, was in meinem Gehirn vorgeht. Irgendwann war es dann aber soweit und ich konnte wieder ein bisschen schlafen. Eine andere Situation, in die ich schon öfter geriet und die in mir ein ähnliches Gefühl des Kontrollverlusts auslöst, ist die folgende: Meist auf dem Fahrrad unterwegs und mit dem Kopf woanders oder unkonzentriert wegen schlechtem Schlaf, verschiebt sich meine Wahrnehmung in eine jenseitige Richtung. Ich denke dann: "Ich muss meine Aufmerksamkeit auf die Straße lenken, sonst habe ich gleich noch einen Unfall." Und dann der die Realität verschiebende Gedanke: Vielleicht hatte ich gerade schon einen Unfall, liege bewusstlos oder tot auf dem Asphalt und in meinem Gehirn feuern die Neuronen einfach nur Impulse weiter auf den letzten Bahnen, die aktiv waren und simulieren meine Weiterfahrt. Und diese endet dann entweder in einem hellen Licht oder in einem Krankenhaus. Währenddessen rolle ich weiter irgendeine Straße lang und versuche zu überleben statt zu überlegen. Aber es gibt auch eine Parallele zwischen Unfall und Einschlafen, die mich noch umtreibt: Was ist der letzte Gedanke vor dem Verlust des Bewusstseins? An den kann ich mich nie erinnern, an die davor schon, aber an den letzten nie, bzw. weiß ich im Nachhinein nicht mehr, welcher der letzte war. Es ist, als würde ich einem Sog folgend in kleiner werdenden Runden, um ein dunkles Loch im Boden laufen, immer am Rand entlang und diesen betrachtend mit seinen kleinen Steinen und staubigen Erdklumpen, die leicht angehäuft an dem Rand liegen und ab und zu hinabstürzen ohne dass der Klang eines Aufpralls folgt. Und Runde um Runde würde ich gehen, wartend auf den Moment in dem ich wanke und hineinstürze in den Schlaf. Als Kind hatte ich vor dem Einschlafen oft das Bild im Kopf, wie ich auf einem metallenen Bettgestell durch einen endlosen dunklen Raum, ähnlich dem Universum, in drehenden Bewegungen langsam in ein nichts nach unten gleite. Und dies alles dachte ich, schwitzend, liegend und lies mich tatsächlich irgendwann kurz vor der Morgendämmerung einschlafen.

Teh Vau

Kommentare

  1. Franks Wild Years ist so ein großartiges Album, Temptation ist mein Favorit darauf

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  2. Ehrlich gesagt, kenne ich von TW nur das Album und Rain Dogs...

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