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Von Westen umgeben, mit dem Schäfer getanzt.

Plötzlich tauchte zwischen den Hügeln links neben der Straße ein ungefähr 80 Meter langes Stück Metallzaun auf, in dessen Verhältnis zwischen Luft und Metall auf jeden Fall das Metall den größeren Anteil hatte. Eigentlich waren es perforierte Metallplatten. Die Landschaft drum herum dörflich, mit Bäumen und Feldern. Wie immer: Eigentlich ganz schön. Ich hätte von dem Zaun und dem kleinen Schotterparkplatz keine Notiz genommen, wenn nicht so ein braunes Schild darauf hingewiesen hätte das Deutschland und (auch) Europa hier bis 1989 geteilt waren. 

Warum müssen diese Schilder eigentlich braun sein? Ist Geschichte braun? Ist das ein kleiner Seitenhieb des Bundesministeriums für politische Bildung? Naja, ich glaube eher, dass das verkehrstechnische Gründe hat. Gelb sind die Schilder der Bundestraßen, grün die Hinweise für Hotels, braun die für Sehenswürdigkeiten und blau die für Autobahnen. Aber müssten nicht in vollkommener Konsequenz die letztgenannten braun sein? Ich frag ja nur. 

Und erinnere mich an meinen Sekundarschulgeschichtslehrer, der auch Sportlehrer war und bekannt dafür cholerisch rumzuschreien. Straffer kompakter Muskelkörper, runder Kopf, hoher Haaransatz mit ergrauten gewellten Haaren und etwas hervorstehenden markant blauen Augen und nach Knutschfrosch aussehenden sinnlichen Lippen. Haare auf den Armen natürlich. Einmal sollte einer von uns Jungs, Sportunterricht fand schon getrennt statt, glaub ich, eine Vorwärtsrolle demonstrieren. Er stand von der Bank auf und machte eine Art Sprung nach vorn. Ich glaub, es heißt Hechtbewegung in die Rolle vorwärts rein. Er war noch nicht mal auf dem Boden aufgekommen, als der Lehrer durch die Halle brüllte: "BIST DU VERRÜCKT GEWORDEN? WILLST DU DICH UMBRINGEN?" Mit so einer sich fast überschlagenden angezerrten hohen Stimme. 

Der Junge hatte sich nicht verletzt, ich kann mich aber auch gar nicht an die Rolle erinnern, vielleicht hat er sie vor Schreck auch gar nicht ausgeführt. Stattdessen fing er sofort an zu heulen, während der Sportlehrer ihn wegzerrte. Wir anderen saßen auf einer der dünnen Holzbänke, wie sie im Sportunterricht üblich waren und betrachteten das Geschehen. Ich war geschockt, fand es aber irgendwie auch interssant zu beobachten, wie da einer mit seiner Stimme einen anderen zum weinen bringt. Schrecklich.

Rechts von mir am schmalen Ende der Sporthalle waren auch mehrere Metallbleche mit vielen kleinen Eindellungen angebracht. Im Laufe des Schuljahres als ich beim Tischtennis wieder ziemlich früh ausgeschieden war, habe ich den Lehrer mal gefragt, was das für Platten sind und er sagte mir (ohne etwas von Umbringen zu schreien), dass die vom Schießunterricht stammen. Daraufhin wollte ich natürlich wissen, wann wir Unterricht im Schießen bekommen, woraufhin er kurz angebunden antwortete, das wir das nicht mehr machen. 

Selbiger Lehrer, er hieß Schäfer (Herr!), versuchte uns in der fünften Klasse etwas über Mesopotamien und die Babylonier und die Wiege der menschlichen Kultur beizubringen. Er teilte Arbeitsblätter aus, deren Inhalt auch auf dem Polylux an die beige-braune Wand über die Tafel projeziert wurde. Darauf Texte über alte Schrift, den Euphrat, den Tigris, das Zweistromland. Auch ein Bild vom Turm zu Babel und ganz unten ein kursiv geschriebener Text, der sich reimte. Es schien sich um ein Lied zu handeln. Herr Schäfer fragte in die Runde, wer denn das Lied kenne und als sich keiner meldete war er doch äußerst verwundert, und sagte nicht ohne den gereizten Ton, der einen seiner Ausbrüche ankündigte: "Ihr kennt dieses Lied nicht?" und dann fing er mit einer ganz zarten, hohen Stimme an zu singen: 

"Die Legende von Babylon und was geschah/Ist wie ein Lied aus längst vergangenen Tagen" 

- keiner hat traute sich zu reagieren - Stille. 

Und jetzt kippt auch schon wieder der Topf mit dem Geschichtsverkehrszeichenbraun über die Erinnerungen und das Lied und ich kann nichts dagegen tun, als sich die Anfangszeilen in meinem Kopf zu folgenden Zeilen verformen: 

"Die Legende von Babij Jar und was geschah/Ist wie ein Lied aus längst vergangenen Tagen" 

- wie hätte Herr Schäfer wohl reagiert, wenn ich ihm DAS vorgesungen hätte?

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