Lass dies laufen, während du liest:
Seit ein paar Tagen dusche ich mich nicht mehr direkt nach dem Aufstehen, stattdessen in den Tag rein mit der Gitarre oder kurz mit den Füßen durch den diesigen Wald. Es soll ja gut sein, Routinen zu brechen. Da hatte mir dann auch gleich ein Vogel direkt zwischen die Augen kacken wollen, aber zum Glück hatte ich die Sonnenbrille auf, deren Steg den Großteil des Flatschens davon abhielt meinen Nasenrücken oder meine Lider oder gar meine Netzhaut zu berühren.
Das letzte Mal habe ich einen Vogelschiss (wir werden die Belegung dieses schönen Wortes durch Gauland überwinden) 2011 in Lärz abbekommen, als ich dort beim Fusion-Fest mit meiner Band spielte. Es war ungefähr ähnliches Wetter wie in den letzten Tagen, nur kälter und ich packte in einem seltenen Moment geistiger Klarheit meine M65 Field Jacket (Woodland Camouflage) ein und trug sie dort. Ich hatte keine wirklich gute Laune, lief durch den Backstage-Bereich auf der Suche nach Nahrung und spürte etwas warm-feuchtes auf der rechten Brusttasche. Ein Vogel hatte sich auf mir entleert. Und in grenzenloser Egozentrik dachte ich natürlich: Warum trifft er von den ca. 60000 Menschen hier mich? Hat das eine tiefere (höhere) Bedeutung? Vollkommen überzogen im Nachhinein. Die Show war gut, den Rest des Fests verbrachte ich im Bus. Ich war und bin ein undankbarer Quälgeist.
Ein bisschen habe ich mich verändert, habe eine weitere Schicht um mich gelegt, eine freundliche, auch am Bauch. Aber auch das zweifle ich an. Während ich das dachte, sagte der Verkäufer im Kaminofenhandel allerdings, ich klänge optimistisch als ich meinte, 2024 werden die Heizpreise wieder normal. Ich wäre mit dieser Haltung prädestiniert dafür in die Bundesregierung einzutreten. Er hatte einen ganz feinen Wikinger-Bart und wirkte wie ein 90er-Jahre-Gebrauchtwarenhändler und gab mir relativ schnell zu verstehen, dass die hier ausgestellten Öfen außerhalb meiner Preisklasse (Baumarktklasse) wären.
SNH, der Natohelikopter, der mit mir durch die Räume schlich, erzählte inzwischen von seiner Lehre als Ofenmaurer, wo sich die Lehrlinge untereinander einen Spaß draus machten, jeweils einen von sich in den Ofen einzusperren, den sie gerade bauten. Das waren große Öfen, die ganze Kindergärten, Klavierfabriken oder Aufenthaltsräume für Müllautofahrer mit Wärme versorgten. Ich dachte natürlich auch an die Öfen in den Konzentrationslagern. Die sind immer da. Hatte ich nicht auch das allerletzte Konzert vor der Räumung des besetzen Hauses auf dem ehemaligen Topf & Söhne Gelände in Erfurt gespielt?
Als ich später mit dem Fahrrad durch die Gegend fuhr, kam ich an einem anderen Verkäufer vorbei...es war der Besitzer des Asia-Imbiss. Er saß im Regen vor seinem Laden unter einem Schirm und aß eine Bratwurst mit Senf. Ich habe dann auch noch eine Frau gesehen, die keine Verkäuferin war, die eigentlich also nicht in diese Reihe hier passt. Sie war schon etwas älter (60+) und hatte eine sehr hohe, ich glaube das heißt fliehende Stirn. Ihr Haaransatz war sehr weit hinten, die Haare waren dunkel-lila gefärbt. Unheimlich fand ich das. Und schämte mich. Sie kann ja nichts dafür. Oder trägt sie eine Perücke, die verrutscht war und ich hätte sie darauf hinweisen sollen? Es sind immer diese Augenwinkelaugenblicke, die mir nachhängen.
Einen weiteren, weniger winkligen sondern gerade vor mir, weil ich den Blick erst hin wendete und dann nicht mehr abwand, hatte ich an einem der vergangenen sonnigen Tage. Ich schleppte mich durch ein Treppenhaus, meine Haut war feucht und ich hörte hohes Vogelfiepen und das trockene Flattergeräusch vieler kleiner Flügel vom Teerdach gegenüber.
Kurze Randnotiz: Mir fällt gerade zum ersten Mal auf, dass das Wort Vogel überhaupt keine Ähnlichkeit oder Wortstammverbindung zu fliegen hat. Ich hatte das aber immer zusammengedacht, also den Wortstamm. Die Feder-Tiere könnten ja auch Fliegel heißen. Ebenfalls erst 2022 erkannt: Rache isst Blutwurst. Also isst mit zwei s. Bisher dachte ich immer, das Rache das sozial-moralische Ekelpendant zu Blutwurst ist (mit einem s).
Ich hörte das Fiepen und ordnete es einem Spatz zu. Aber keinem von denen, die von der Garage in einen Strauch flogen, von denen ging der trockene Flattersound aus. Das Geräusch kam von einem, den ich fast nicht erkannt hatte. Ein kleiner Federhaufen war er in zwischen den Krallen eines Raubvogels (Bussard oder Milan?) der da auf dem Teerdach saß und sich umschaute, in einer Art und Weise, so schien es mir, als tue er so, als würde hier gar nichts passieren, so ein Umherblicken, dass einer macht, wenn er unbekümmert wirken will, sich nur mal ein bisschen umschaut hier auf dem Teerdach. Währenddessen aber grub er seine Krallen rhythmisch in den Federball ehemals Spatz, bis dieser sich nicht mehr regte. Ich ging die Treppe weiter nach oben und wollte vom nächsten Fenster aus noch einmal schauen, aber da waren die beiden schon weg...
Die wöchentliche Nacht-Angst-Fantasie diesmal zum Schluss:
Aufwachen von Turbinengeräusch eines Airbus (meist wenn die Schubumkehr zur Geschwindigkeitsverringerung eingesetzt wird) gegen 4:30. Dann Panik, warum eigentlich immer noch kein Flugzeug in die Stadt gestürzt ist. Und das es ja JETZT soweit sein könnte. Kurz danach wieder eingeschlafen in nicht fundiertem blind-verdrängendem Vertrauen in die Luftfahrttechnik.
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