P. schickt mir eine Nachricht per Diktierfunktion, die Sprache wirkt lustig entstellt. Genau wie bei den lustigen Applikationen, in denen man sein Gesicht verändern lassen kann, macht diese Diktierfunktion doch nur deutlich, das unsere Telefone in "beide" Richtungen genutzt werden. Was soll das heißen? Die ganzen Gesichtsverwandlungs-Späße helfen nicht nur den Benutzern dabei, etwas Zeit totzuschlagen oder "Spaß" zu haben - sie helfen genau so, die Datenbanken der Gesichtserkennung zu füllen und die Software zur Gesichtsmanipulation zu verbessern. Und bald schon kann man ein Verbrechen begangen haben, von dem man gar nicht wusste - in dem ein Video als Beweismittel angeführt wird, in dem ein Körper zu sehen ist, der einen anderen totschlägt und auf diesem Körper ist der eigene Kopf. Täter überführt, den Machthabern unliebsame Person eingebuchtet.
Und die Diktierfunktion: Macht sie nicht deutlich, dass das Telefon unsere Sprache analysieren kann? Und vor allem, dass es das auch kann, wenn wir die Funktion gerade nicht nutzen. Dass das für personifizierte Werbung gemacht wird, wissen wir - aber wofür noch? Hier scheint zum ersten Mal ein Vorteil im Dialekt zu liegen. Denn, ich bin mir nicht sicher, ob das Telefon auch den landesweit als "dumm" konotierten sächischen oder "zurückgebliebenen" sachsen-anhaltinischen Dialekt decodieren kann. Aber schon alleine aus Gründen der Konsumaktivierung wird es nicht lange dauern, bis auch hierfür eine Lösung gefunden wird. Denn auch die ostdeutschen Bauern wollen sich über personalisierte Werbung freuen. Oder so wie ich an ein Mysterium glauben, wie es sein kann, dass mein Telefon mir Werbung vorschlägt, für etwas, über das ich nachgedacht und vielleicht auch geredet habe. Jaja, naive Östlinge. Aber am Ende hat es ja nichts mit Ost/West/Nord/Süd/Oben/Unten/Überschlag zu tun.
Am Ende wissen wir alle, dass wir überwacht werden. Und nehmen es in Kauf in Anbetracht der Vorteile und Bequemlichkeiten, die es uns bringt. Bahntickets, Standorte, Entriegelung via Gesicht, Diktierfunktion, usw...und ein weiterer Aspekt ist, dass das Erwähnen solcher Bedenken, den Erwähner ganz schnell in die Ecke der Verschwörer und Paranoiker schiebt und somit auch wieder das eigene Handeln gerechtfertigt, bzw. nivelliert wird. Und überhaupt, dank der allgemeinen Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne auf ca. 0,4s, habe zumindest ich diese Gedanken jetzt schon wieder vergessen.
Und mit der Zeit ist diese Textsammlung hier ja auch zu einem Ort des Wohlgefühls geworden, wo man eine Auszeit nimmt vom Alltag in dem man in das Schlammsuhle der Gedanken eines anderen eintauchen kann. Kein Ort der Besorgnis und Kritik. Und deshalb hier noch zur Entspannung folgende Erkenntnis:
Der Baum vor dem Fenster, dessen kuriose Eigenheit es war, jedes Jahr zuerst nur auf einer Seite zu blühen, ist nicht einer sondern zwei. Und das ist auch der Grund des halben Erblühens, was ja dann doch ein Ganzes ist. Denn was jahrelang für eine Astgabelung kurz über dem Erdboden gehalten wurde, ist keine. Es sind tatsächlich zwei Bäume, die sehr nah beieinander aus der Tiefen des mitteldeutschen Ton und Kohleerde nach oben stoßen. Und damit nicht genug. Auch musikalisch gab es bei mir eine Erkenntnis: Ich habe seit je her das Riff des Melvins Songs "Night Goat" falsch gespielt. Das fiel mir plötzlich auf, einfach so. Und dieser kurze Moment verändert alle in der Vergangenheit, in denen ich dieses Lied spielte, zb. in Erfurt vor längerer Zeit mit F. und das in meinem Mund befindliche Bier in Richtung Publikum in einem festen Strahl Richtung Publikum sprühte. Ist es denn niemandem aufgefallen, dass das Riff falsch war? Hätte es damals schon richtige Telefone gegeben, hätte ich spätestens am nächsten Tag ein "Night Goat" Tutorial angezeigt bekommen...
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