Ich stehe auf einem Fußweg und halte den Kopf in die Sonne. Für einen Moment erinnere ich mich an die Kräfte des Frühlings, die Freuden der Erwärmung. Diesmal aber werden diese Empfindungen anstatt nach ein paar Tagen, schon nach zehn Sekunden abgelöst durch die Vorstellung einer brennenden Sonne unter der ich dahinkrieche. Es ist durchaus möglich, dass diese Vorstellung das angenehme Gefühl nicht komplett ersetzt, sondern beide einfach gleichzeitig vorhanden sind. Und das gilt es dann auszuhalten.
So wie für den Jahresanfang typisch, ein recht warmer Tag zu Ende gehen kann, den man draußen verbracht hat, an dem man durch die Landschaft gelaufen ist und die Wärme auf der Haut und das Betrachten der sich verändernden Vegetation des noch nicht komplett toten Waldes (80% der Wälder in Deutschland sind krank oder tot) ausreichen, um zufrieden zu sein. Geht dieser Tag dann zu Ende, kehrt mit der Dunkelheit eine Kälte zurück, die schon fast vergessen war, obwohl sie doch vor zwei Wochen noch allumfassend das Dasein bestimmte.
Ebenso verhält es sich beim Entlanggehen an den Kanten der Schattenfelder, die in der Stadt durch die Höhe der Bauten bestimmt ist. Sie legen fest, wo die Sonne hin scheint und wärmt und wo die Kälte dominiert. Und so bewege ich mich, auf diesem Fußweg stehend, ein paar Schritte nach vorn und beobachte meinen Schatten, der sich über eine solche Kante erhebt. Mit diesen minimalen Bewegungen kann ich ziemlich genau bestimmen, welche Teile meines Körpers gewärmt werden und welche kühl bleiben.
Nach einer Minute, die ich so verbringe, entscheide ich mich dazu, komplett still zu stehen, wie einer der Bäume der zu sein, die am Rand der Straße ihr Dasein fristen. Die Tatsache, dass ich mich als Baum, abgesehen vom Drehen meiner Äste in die Richtung des Lichts, nicht bewegen kann, beunruhigt mich zutiefst: All den Menschen und ihren Handlungen, wie sie Straßen bauen, an Haltestellen warten auf den Zug, der sie zur Arbeit bringt, Tüten mit Hundekot in Mülleimer werfen und Mülltonnen anzünden. Ihnen zuschauen und nichts dagegen tun zu können, aber auch nichts dafür, zum Zuschauen verdammt.
So stehe ich da, gerade mal zwei Minuten ein Baum und beginne zu zittern, zumindest an den Stellen meines Körpers, an die die Sonne städtebaubedingt gerade nicht gelangt. Dann jedoch beginne ich mich anzupassen und verstehe, dass Bäume Zen-Meister sein müssen, Altruisten. Sie sind diejenigen, die über Jahrzehnte hinweg das Geschehen und die Bewegungen, das Treiben der Wesen an einem Ort beobachten können. Menschen kommen und Menschen gehen, rennen im Frühjahr aus dem Schatten ins Licht und im Sommer aus dem Licht in den Schatten. Feuerkäfer kriechen in Massen aus dem Boden und Katzen verschwinden oder werden überfahren.
Und die Bäume sehen, dass es immer wieder von neuem los geht, ohne selbst einen Schritt gehen zu können. Was bleibt ihnen anderes übrig, als mit ihrer Bewegungsunfähigkeit anzugeben? Aber Altruisten geben nicht an, sie wollen einfach sein.
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