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Marsnamen/Eine Eule über dem offenen Feuer

Wieder ein Jahr rum. Ich merke das immer daran, wenn ich bei der Mietüberweisung den Betreff nicht ändern muss, weil dort Juni steht, in dem ich hier eingezogen bin. Das wichtigste bleibt aber: Die Möglichkeit zum Konsum muss um jeden Preis aufrechterhalten werden. Zwischen brennenden Plastiktonnen, behelmten Staatsorganen und Bürgern bahnt sich der Lieferdienstleister seinen Weg durchs Dunkel. Er fährt auf einem scheppernden Fahrrad und hat die Pizza im Rucksack auf dem Rücken und bringt sie ans Ziel: den nach Essen verlangenden Konsumenten. Die Bürger schwimmen um ihn herum in einer Mischung aus Protest und Feierlaune und ich stehe mittendrin und wundere mich, dass fast alle ein Bier in der Hand haben. In der Revolution machen die Spätis guten Umsatz. 

Ich wundere mich auch, dass nur zwei Kilometer weiter die Welt eine ganz andere ist. Eine in der Familien Eis essen oder über Fussball reden. Die ganze Welt passiert parallel und dies in seiner Gänze zu fassen, ähnelt der Aufgabe einen Wasserfall nach oben zu schwimmen oder zu kriechen. Mit der Besonderheit, dass man selbst in der Situation nur daumengroß ist und Kiemen hat. So fühlt es sich an. Man steht davor und fragt sich, wie ist das zu schaffen? 

Im Traum gaukelt der Geist mir oft vor, ich hätte meine Aufgabe geschafft - vermutlich, weil der Stress am Tag und der Wunsch nach Lösung so stark ist, dass der Geist im Schlaf die Endorphine ausschüttet, die das Gefühl der Lösung erzeugen. Leider ohne die Lösung an sich mit zu liefern. Also wie immer: Nachts aufwachen, apathisch zum Handy greifen und drauf starren. Wisch...wisch...wisch, tipp tipp tipp, da hat mir jemand geschrieben. Der Inhalt der Nachricht besteht nur aus einem "H" und ich gehe die Möglichkeiten durch, was diese Nachricht bedeuten könnte: Als erstes: Das war der Anfang eines "Hallos", dann aber hat der Absender festgestellt, dass ich der falsche Empfänger war und ist mit dem daumengroßen Daumen statt auf die Abbruchtaste auf die fürs Senden gerutscht. Zweite Variante: H wie Heroin - eher abwegig, aber vielleicht ein Hinweis darauf, was gerade konsumiert wird oder sich zu konsumieren gewünscht wird. Dritte Variante: H wie Hilfe. Die Person ist gerade von Molchen entführt worden oder wird von Staatsbediensteten bedroht und hat nur noch geschafft, allein mir ein H zu senden, bevor sie niedergeschlagen wurde. Würde sich da eine Antwort oder gar ein Rückruf überhaupt noch lohnen? Und schon kommt die Scham, hier im Bett zu liegen, während anderswo ein Mensch um Hilfe bitten könnte. Und ich schaue auf den einzelnen Stern der dort am Himmel flackert und in der Ferne dazu das Rattern von Rotoren. Da muss ich auch an Wechselsprechanlagen denken und die Menge an Hallos, die man wechselt, wenn diese Anlagen zu leise eingestellt sind für das Donnern und Dröhnen von Straßenbahnen und Hubschraubern vor der Tür. 

Ungefähr geht das so: Klingeling..warten im Rauschen der Straße. Man ahnt eine Stimme aus dem Lautsprecher, ist sich aber nicht so sicher. Dabei hat die Person am anderen Ende wirklich schon "Hallo" gesagt, sagt es jetzt nochmal etwas lauter und man selbst reagiert mit dem eigenen "Hallo", hofft, dass die andere Person es hört. Die Straße rauscht durch die Wechselsprechanlage über den Hörer in ihr Ohr und es folgt ein "Hallo" mit "Wer ist da?" hinten dran und dann kommt der merkwürdigste Teil der Konversation: Entweder ein "Ja, hallo ich bin's" oder "Hallo, hier ist Timm" - ich finde beides seltsam. Weil es immer auch wie eine Behauptung wirkt. Ich bin ich, ich bin der, dem sie diesen Namen gaben. Aber bin ich ich? Unangenehm Existenz hinterfragen so eine Wechselsprechkonversation, aber immer noch besser als einen Wasserfall hoch schwimmen zu müssen.

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