Da ist eine pinke Windmühle, so pink, dass sie leuchtet. Gerade wenn ein Gewitterhimmel den Lichtkontrast nach oben schraubt: die Sonnenstrahlen in einem gelben Streifen unter einer dunkeldunkelblaugrauen Wolkenwand treffen dann auf diese Windmühle, die sich im Wind dreht und leuchtet, als möchte sie ein drohendes Unheil verkünden. Inzwischen aber ist der Wind weg und der Himmel weniger kontrastreich. Ein mildes Blau, das Blau der Ozeane, wird immer gesagt und darunter das Grün der Bäume. Irgendwo da oben immer noch die Sonne als glühende verengte Pupille in der Mitte einer blauen Netzhaut, aus der Hitze feuert und vor der ich seit ich Kind war, gewarnt wurde. Blicke nicht in sie hinein, sonst brennt ihr Abbild auf deiner eigenen Netzhaut für immer. Oder auch einfacher gesagt, dann bleibt ewig dieser dunkle Punkt im Sichtfeld, der so groß wie die Sonnenpupille ist.
Ich habe mal vor einer Sonnenfinsternis beim Regional-Radio angerufen, bin sogar durchgekommen. Es wurden Personen gesucht, die aus triftigen Gründen das bevorstehende Jahrhundertereignis nicht miterleben konnten. Auf die Gewinnenden wartete als Lohn sicher eine Kaffeetasse mit dem Logo des Senders darauf oder ein Wayfarer-Sonnenbrillenimitat mit selbigem Logo auf den Bügeln. Ich sah meine Chancen recht hoch, als ich der Redakteurin am anderen Ende der Leitung erklärte, ich müsse an dem Tag operiert werden. Eine halbe Stunde später jedoch, sprach eine Krankenschwester im Radio davon, dass sie die Finsternis nicht erleben könne, weil sie auf der Intensivstation Schicht habe. Das, so dachte ich mir damals, passt besser ins Bild des Senders: die werktätige Frau im Dienste der Gesellschaft, als der kranke Junge. Da muss nicht so viel erklärt werden und die Hörer bleiben nicht mit einem unguten Gefühl des Mitleids zurück sondern sind sich Gewiss darüber, dass auch in Zeiten von Sonnenfinsternissen Krankenschwestern über Kranke wachen, ein Gefühl der Sicherheit. So stand ich dann am Tag der Operation trotzdem kurz auf dem Krankenhausbalkon und starrte wie der Orangenpräsident ohne Brille kurz in die Sonne, sah eine dunkle Scheibe sich vor die helle Schieben und war schon wieder gar nicht mehr so interessiert daran, was auch an den Betäubungsmitteln gelegen haben könnte.
Thema Betäubungsmittel: Ich habe letztens unwissentlich zwei alkoholfreie Biere getrunken. Zum ersten Mal in meinem Leben. Und glaubte mich nach dem Konsum auch angetrunken. Das dritte wusste ein schlauer Hallenser, den ich glücklicherweise traf, zu verhindern. Er fragte mich, was ich da komisches in meiner Pfote hätte. Und als ich dann die Null und das Prozentzeichen auf dem Etikett entdeckte, wurde mir klar, "warum er schon die janze Zeit so gomisch jekuckt hat." Denn alkoholfreies Bier ist nicht normal. Er hat's "awer gleich jesehen und mich drauf hinjewiesen" - ich dankte ihm, holte uns schnell zwei normale Biere und bat seinem Sohn das alkoholfreie an. Im Spaß natürlich, denn mit sowas fangen wir "jarnich erst an".
Es folgten viele weitere Biere und ich ernüchterte zügig in den Alkoholrausch hinein, fühlte mich von Frieden durchströmt und sah zwei Männer, die gemeinsam ein Fahrrad durch einen Menschmasse schoben. Jeder auf einer Seite des Lenkers. Es könnte doch immer so sein, dachte ich. NICHT. Denn als neben mir sitzenden Menschen meinten, dass es doch schön wäre, wenn's immer so wäre wie jetzt und hier, sonnig und gesellschaftlich warm: Nun ja, das würde ja auch bedeuten, dass dann auch immer 1000 Kilometer entfernt Leute in Kriegsgebieten getötet werden und im Meer ertrinken. Es würde, wenn dann nur funktionieren, wenn die Welt, so wie sie jetzt ist nur vom einen Ende der Straße bis zum anderen reichen würde. Also dem Bereich, wo gerade alles in Ordnung zu sein scheint.
Und das wäre ja dann auch wieder unheimlich, wenn der Frieden nur eine Ausdehnung von einem Kilometer hätte. An den Enden jeweils eine von beiden Seiten undurchdringliche Glaswand, an der sich von Außen das Grauen stapeln würde. Und wir im Inneren würden sie von unseren Kindern dann schnell bunt bemalen lassen, damit wir jenes Grauen nicht sehen müssen. Oder aber: Diese Schutzwände sind semipermeabel, einmal durchlässig, wer sich also entscheiden will, die "schöne" Welt zu verlassen, kann hinaus, dann aber nie wieder hinein. Wäre das wünschenswert? Und die um mich sitzenden starrten mich an und ich bat um Verzeihung für die Kratzer, dich in ihrem Bild hinterließ.
Das war auch alles unter Einfluss von alkoholfreiem Bier gesagt. Ich sehe jetzt, wie sich die pinke Windmühle hinter der Scheibe dreht, ganz leicht, aber ihre Flügel fangen an von den Rändern her auszubleichen, denn Gewitter und Regen gibt es schon lange nicht mehr, so dass sie bald ganz weiß und von Weichmachern befreit unter der Sonne zerbröseln wird.
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