Ich laufe am Altersheim vorbei, ob es jetzt das an der Brücke ist oder das gegenüber der Arkade, spielt keine Rolle. Vor beiden liegen Hundehaufen - morgens noch unberührt, im Laufe des Tages plattgetreten und über einige Meter in der Form von Schuhabdrücken auf dem Bürgersteig verteilt. Bürgersteig, Bürgersteig, was wenn ich kein Bürger mehr wäre? Mein Ausweis ist abgelaufen, da muss ich jetzt wohl im Rinnstein gehen, dem kleinen Stück Pflasterstein zwischen Bordsteinkante und asphaltierter Straße und meine Füße dürften kein der beiden Begrenzungen berühren, ein einziges Balancieren aus dem ich mir dann doch einen Spaß machte und die Bürger beobachtete wie sie Bögen um die Hundehaufen gehen müssen.
Aus den Heimen kommen immer Schreie, die mich schaudern lassen, denn sie klingen wie die Schreie von Kindern oder die Warnrufe von Vögeln und jungen Katzen und manchmal auch wie von großen Raubkatzen, ganz tief und wütend. Und hinter den bodentiefen Fenstern in der zweiten Etage des Heims sehe ich sie sitzen, die alten Menschen in Stühlen mit Beinen oder Stühlen mit Rollen. Abgestellt, starr, wie mahnende Skulpturen, die uns Jüngere, aber doch alternde drohend ermahnen sollen, entweder gesund zu bleiben oder gar nicht so alt zu werden und so zu enden. Kann es sein, dass deshalb auch die Fenster extra offen bleiben und die Schreie nach draußen dringen können? Ein letzter Versuch der Pflegebranche das Problem des Personalnotstands zu lösen, in dem der Ausblick hier zu Ende zu leben so schrecklich ist, dass wir alle lieber freiwillig aus dem Leben treten, wenn es soweit ist. Ich lass das jetzt einfach mal so stehen, ohne wie sonst eine Lavierung dahinter zu setzen.
In dem Buch, das ich gerade las, fand ich auch einen starken Text über Erlebnisse in einem Pflegeheim. Über die Seite 14 lief eine kleine Laus, rotbraun ging sie über Worte. Aus meiner Sicht, bewegte sie sich langsam über das gebogene Blatt, aus ihrer Perspektive rannte sie, erschrocken vom plötzlich hereinflutenden Licht in ihrer sonst so dunklen Wohnstätte. Ich blätterte dann schnell um und ließ sie in Ruhe. Gestern auch Insekten: erst die Kellerasseln auf der Unterseite der Backsteine, die ich zu neuen Begrenzungsmauern eines Beets auftürmte. Auch sie: erschrocken vom Licht, dass sie sonst so meiden und ich, wie ich die Steine vorsichtig aufeinander setze, damit ich die Asseln nicht zerquetsche. Diese Vorsicht ließ ich auch bei der Buchlaus walten, aber eigentlich sind die Insekten so dünn und kleine, dass sie zwischen den Ritzen der Steine und dem Raum zwischen den Buchseiten genug Platz haben, solange ich nicht, wie ich es als Kind tat aus gottgleichem Überschwang, die Steine extra heftig aufeinander schlug, um mir danach mit der Mischung aus Neugier und Ekel, die der Macht innewohnen, die toten und halbtoten Asseln anzusehen.
Insekten schreien ja nicht. Bei den Geflügelten könnte man manchmal denken, sie würden es tun, wenn sie zwischen einer Postkarte, die zwischen die Fensterscheibe und das Glas, in dem das Tier aus dem Zimmer entfernt werden soll, geschoben wird, eingeklemmt werden und ganz schnell mit den Flügeln gegen das Glas schlagen. Dann entsteht ein hohes Summen, das traurig klingt. Und die, die krabbeln, hört man nur, wenn der Boden, über den sie sich bewegen locker ist...kleine Erdkrümel oder ganz dünne trockene Grashalme. Dann raschelt es, wie bei den roten Käfern auf dem Friedhof, die man erst gar nicht sieht und dann sind sie plötzlich überall und der ganze Boden scheint in roter Bewegung, dort, wo die Sonne hinfällt. Und am Abend noch: die Ameise, die über die rote Backsteintreppe auf dem Hof läuft. Sie schleppt etwas weißes durch die Gegend. Ich schaue an mir herab und sehe einen weißen gefüllten Einkaufsbeutel an meiner Schulter hängen und denke: wir sind doch gar nicht so unterschiedlich.
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Schön wie immer :) danke für die Erinnerung der roten Käfer auf dem Friedhof die in der Sommersonne immer ihr Unwesen treiben Lg NK
AntwortenLöschenStets zu Diensten. Manche nennen sie auch Feuerkäfer, Arschkäfer oder. Fickkäfer...
LöschenJah Bless!
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