Die Tropfen des Regens tippen wie unruhige Finger auf das Fensterblech und wecken mich aus dem Schlaf und für wenige Sekunden mit halb offenen Augen spüre ich einen Frieden, eine Sorglosigkeit bevor die alltäglichen Gedanken und Sorgen sich wie die beiden Flügel einer gebogenen Schiebetür vor meinem Blickfeld schließen. Die Schiebetür ist schmutzig, viele Gedankenfinger haben sie berührt, nachdem sie Pizza gegessen, an Motoren geschraubt oder Blut aufgewischt haben. Diese Verschmutzungen werden Fettfinger genannt. Fettfinger auf Glas machen das Glas trübe und ich frage mich, halbwach, wo ich denn den Fensterreiniger finden könnte - hier in diesem Konstrukt, dass ich meinen Geist nenne.
Eine Zeitlang half die Dusche nach dem Aufstehen das Glas klarer zu kriegen. Der Spiegel beschlug zwar und der Raum war voller Dampf, aber unter dem Duschkopf stellte ich mir vor, wie ich den vorigen Tag und die Nacht von mir abwusch, einer rituellen Waschung gleich. Wenn ich die letzten Zeilen jetzt lese, stelle ich mir die Frage: Warum glaube ich, den vergangen Tag von mir herunter waschen zu müssen? Um den neuen als sauberes Blatt beginnen zu können?
Nur mal angenommen, der vergangene Tag wäre ein guter gewesen, ich kichere in mich hinein während ich wäre schreibe, würde es dann nicht gut sein, ungeduscht den neuen zu beginnen, das Gute des vorigen mitzunehmen? In den letzten zwei Monaten habe ich mich an manchen Tagen nicht geduscht, es waren aber keine guten Tage. Entweder war ich krank oder mir fehlte die Kraft es zu tun oder ich sah keinen Sinn darin. Und so frage ich mich, was macht einen guten Tag eigentlich aus?
Ich denke, es ist einer, an dem etwas funktioniert hat, etwas getan wurde, was geistig weiterbringt - etwas geschehen ist, was nicht unbedingt fertig ist, aber Neugier und Begeisterung weckt - so dass der Tag gar nicht vorbei gehen soll, dementsprechend spät wird sich gebettet und beim Warten auf den Schlaf kommt nicht der Gedanke: "Komm doch Schlaf, erlöse mich vom Erlebten." sondern "Ich kann es kaum erwarten aufzustehen." und dann beim Aufwachen: "Endlich wach, schnell raus aus dem Bett und weiter, weiter, weiter." - tja, diese Tage kann ich für mich an den Fingern einer meiner Babyhände abzählen. Und voll Scham bemerke ich, wenn ich diese Tagesfinger zähle, dass die Hälfte davon etwas mit Produktkonsum zu tun hatte, also ich mich freute, etwas zu erwerben, Kleidung, Instrument, Möbelei von irgendwo zu holen mit einem Auto über leere Straßen unter sonnigem Himmel fegend oder auf den Zusteller wartete, der mich in andere Zustände versetzte bei der Paketübergabe.
Und immer das selbe Prinzip eingeredet, dass das erworbene Fortschritt bringt, nach außen meine Profession, meine Professionalität deutlich macht. Doch mit jedem Erwerb wurde es innen leerer, entstand mehr Platz für die Gedanken, die unguten, die zweifelnden, die schmutzige Schiebetür - von der ich jetzt denke: "Was nützt der Glasreiniger?" Ich bräuchte eine Leiter (verhallte Stimme des Inneren Hausmeisters: Irgendwo muss hier doch sowas rumstehen.), um den Sensor, der oben in der Mitte des Türrahmens ist, zu zerstören mit dem professionellen Mulittool, dass ich ständig mit mir herumschleppe.
Ich würde nicht mal eines der enthaltenen Werkzeug ausklappen, sondern direkt mit dem kleinen Stahlding auf den Sensor einschlagen, bis seine Plastikhülle zerbrochen ist und er seine rotweißen Kabel- und grünen Platineninnerein preisgeben würde, die ich dann weiter zerschlage und zerreiße, bis nichts mehr übrig wäre. In meiner Raserei habe ich nicht bemerkt, dass zum Zeitpunkt der Sensorzerstörung die Türflügel geschlossen waren, sodass ich schwer atmend und leise fluchend von der Leiter herunter steige und mit Hilfe des Messerwerkeugs am Multitool die Flügel an der Gummilippe auseinander hebele und unter Ächzen auseinanderschiebe, bis sie rechts und Links in der Wand verschwinden.
An der einen Wand sehe ich auch das Bedienpanel, an dem man normalerweise die Betriebsarten der Schiebetür einstellen kann, also Sensor-Automatik oder Dauerauf, bzw. Dauerzu. Dafür braucht man aber einen Schlüssel, den ich nicht habe, da mein Vorgänger, der hier zuständig war, sein Schlüsselbund - also so ein richtiges Hausmeisterschlüsselbund mit ganz vielen Schlüsseln dran - für alle Türen, die Briefkästen, den Keller, aber auch dem Vierkant für den Sicherungskästen in der zweiten Etage und eben dem Schlüssel für die Schiebetür am Ausgang - verloren hat - dementsprechend Kündigung und Auslöschung und nun bin ich hier - zuständig fürs Ordnen der Gedanken und Durchkehren der Gänge in diesem Geist.
Und nachdem ich schwitzend das Problem mit der Schiebetür beseitigt habe, frage ich mich: War das ein guter Tag oder ein schlechter? - kKomme ich morgen stinkend zur Arbeit, weil es guter Schweiß war, der da aus meinem Körper trat, während ich die fettige Tür, die sich jeden Morgen so verheerend vor den Augen schließt, zerstört habe? Oder hätte es Glasreiniger doch getan?
Man soll ja Wasser sparen und sowohl nicht Duschen, als auch durch die Zerstörung der Tür weniger verbrauchte Putzwasser geben mir ein gutes Gewissen.
TV
PS: Der Rest der glücklichen Tagesfinger an denen ein freudiges Aufstehen stattfand, waren jene, an denen ich Orte, wo ich einer Tätigkeit nachging und mit Menschen zu tun hatte, verließ. Hier auch wieder: die Fahrt über Straßen, zischend vorbei an Bäumen unter sonnigem Himmel. Erlösung in Bewegung.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen