Direkt zum Hauptbereich

Zwei Allein/Drei zu zweit


Die Flügel der Windräder verschwanden im Nebel und tauchten kurz danach wieder aus ihm auf, als wir die Hauptstadt auf einer Autobahn verließen. Die rechte Felge des LKWs hatte eine Unwucht und gab ein trommelndes Geräusch von sich, dass die Musik ersetzte. Die Radioantenne war vor Jahren abgebrochen und die Versuche eine neue zu installieren wurden vor langer Zeit aufgegeben. 

Eine Stunde zuvor wähnte ich mich in einem Film oder mindestens in einer Serie, als ich zusah, wie ein mit Blumen geschmückter Sarg in einen alten silbergrauen Mercedes-Leichenwagen geschoben wurde. Dazu lief Rockmusik aus der Kapelle in der sich eine Trauergemeinschaft versammelte um Abschied von einem Menschen zu nehmen, der viel Liebe gab und dafür auch bekam. 

Das Ende des Films wurde für mich recht plötzlich durch eine S-Bahn eingeleitet, die mit dem schleifenden Geräusch der Räder auf den Schienen die abschließenden Worte des Zeremonienmeisters übertönten. Zumindest dort wo ich stand. Dann sang auch wieder dieser Vogel, den ich schon am Morgen bemerkte. Er sonderte einen klaren Ton ab, lang gehalten, zwei oder drei mal. Ich schaute in den grauen Himmel und atmete tief durch. 

Nun blickte ich auf die Straße vor mir. Mein Mitfahrer sagte, wir glitten gerade über ein kurzes Stück Flüsterasphalt und fragte mehr sich selbst als mich, wie das wohl für die Maulwürfe sei, die da unter der Autobahn jetzt diesen Lärm ertragen müssten, der ja bekanntermaßen ins Erdreich geleitet wird. "Vergiss nicht all die Würmer, die sich dort winden." - fügte ich seinen Überlegungen hinzu. Fahrten im Auto haben eine beruhigende Wirkung auf mich. Das liegt wohl daran, dass man im Moment der Fortbewegung einer ganz klaren Tätigkeit ausgeliefert ist. Von Punkt A bewegt man sich auf einer Linie zu Punkt B, dem Ziel. Unabhängig davon, was dort zu tun ist, ist während des Prozesses der Fahrt keine weitere Aufgabe zu erledigen, als die Strecke hinter sich zu bringen. 

Natürlich ist es möglich in Gedanken zu schweifen, unweigerlich geschieht mir das auch, da ich noch nicht selber fahre, beim Betrachten der Landschaft und gerade jetzt im Winter, wenn die Sonne träge und auf einer flachen Bahn mehr über den Himmel kriecht als steigt, sind diese Gedanken wohlig melancholisch. Ich bin dann erfüllt von der angenehmen Melancholie, keiner die verängstigt. 
Es ist eine, die mich an meine Kindheit erinnert, Fahrten übers ostdeutsche Hinterland auf dem Beifahrersitz des Dienst-Golfs meines Vaters, der zwischen Triptis und Hohenmölsen die leeren Küchenräume der Bewohner vermaß und sie mit den Abmessungen der von jenen Bewohnern georderten Küche aus dem Möbelhaus abglich, damit kurze Zeit später sogenannte Monteure die Küche einbauen konnten. In diesen Küchenräumen hallten die Stimmen meines Vaters und der Bewohner blechern von den Wänden wider, wenn sie sich unterhielten. Denn die alten Möbel waren ja schon draußen - bestimmt kamen hier und da auch alte Tapeten zum Vorschein, die 20 oder mehr Jahre hinter den Hängeschränken verborgen geblieben sind. Zusammen mit den alten Fliesen kam das dann alles weg. 

Wie es wirklich war, wusste ich nicht, denn wenn ich mit war, wahrscheinlich in der Ferienzeit, verbrachte ich die meiste Zeit im Auto wartend, dass mein Vater vor den 60er-Jahre-Bauten oder der Einfamilienhaussiedlung auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Manchmal öffnete ich die Tür und tippte mit dem Fuß auf die Grasbüschel zwischen Bordsteinkante und Gehweg, manchmal versuchte ich auch das Grünzeug mit Hilfe des Zigarettenanzünders in Flammen zu setzen. 

Auf dem Rückweg dämmerte es dann meistens schon grau und die Scheinwerfer der Autos spiegelten sich auf dem nassen Kopfsteinpflaster oder den grob geteerten Straßen. Es hatte geregnet, es regnete immer in der Dämmerung. Und die Kassette mit den beiden Springsteen-Alben "Ghost Of Tom Joad" auf der A- und "Nebraska" auf der B- Seite erklang leise aus dem Radio. Das war in der Zeit vor dem Flüsterasphalt. 

Ich schaute schweigend durch die Regentropfen auf der Seitenscheibe hinaus in die flache Landschaft mit ihren kahlen, knochigen fast schwarzen Bäumen und den groben umgepflügten Feldern, sah die Zugvögel und Krähen picken und fliegen, sah in die beschlagenen gelb leuchtenden Doppelfenster niedriger Bauernhäuser und erkannte mit halb geschlossenen Augen am Horizont die Lichter von Halle.

TV

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Dior Straits / At the gates

Als Soundtrack zu diesem Eintrag abspielbar: Im Traum alles voller Verlustängste: Naheste Menschen aus verschiedenen Zeiten vermischen sich zu einer Person und sind nicht erreichbar für mich. Typischerweise am Telefon. Rufton, Automatische Mailbox. So oft anrufen, bis die Mailboxstimme vertraut wird und die Vision entsteht, das sei die zu erreichende Person. Herumirren in einem schmalen Zimmer und immer wieder zwei Bettdecken aufschütteln von denen eine blaugelb gemustert ist und gar nicht mir gehört sondern aus einer WG stammt, die doch gar nicht in der Stadt ist. Wurde ich verstoßen und in der Fremde aufgenommen?  Ich rede mit den WGlern, dass ich die Flure und Wände gar nicht so dunkel getüncht und unrenoviert in Erinnerung habe, es aber mag. Das Haus sieht von außen nämlich ganz anders aus. Hell und neu mit ganz geraden Fensterfronten und elektrisch verstellbaren Sonnenschutzrollos außen dran. Die WGler wirken peinlich berührt und meinen, es gäbe hier gar keine dunklen Flure. Es sc

Garaus/Windrinde

Ein Wildschwein rennt durch die Straßen. Es hat auf seinem Rücken langes Fell, dass mindestens genauso hoch wie es selbst nach oben aufgestellt ist, eigentlich so aussieht, als sei es geföhnt und an den Kanten ganz sauber geschoren und in die Form eines Quaders gebracht. Das Schwein wird von Hunden gejagt und der Fellquader auf seinem Rücken verwandelt sich in einen weiteren Hund. Die Menschen dort greifen nicht ein. Ich bemerke, dass ich meine eigene Hand halte. Ich bin nicht verängstigt, versoffen oder verzweifelt, erinnere mich aber an Momente, in denen ich in solchen Zuständen erwachte und mir selbst versuchte durch sanftes reiben der Oberarme Halt zu geben, mir selbst die Hand hielt, um nicht allein zu sein mit der Übelkeit und den pergamentenen Zuständen, in denen sich Körper und Geist nach Feierein befinden.  Aber schon Baron Münchausen wusste, dass er sich und sein Pferd nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen konnte und auch ich bin mir klar, dass mein Mir-Selbst-Die-

Abag/Zetapak

Was für ein Tod wäre das gewesen: Pseudo-Rebell-Rocker überfahren von einem Sixpack - ich wollte eine Straße mit dem Fahrrad queren, die ich mindestens drei mal in der Woche vor mir habe. Seit einem Unfall ohne Verletzungen, aber mit erheblichem Sachschaden und Schock meinerseits, weil der Besitzer, des zerstörten Fahrzeugs (Unterboden pfutsch oder futsch?) zu mir meinte, "Ich solle nach Russland abhauen oder mir gleich einen Strick nehmen." , schaue ich lieber zweimal nach rechts und links und warte, bis die Autos vorbeigezogen sind, auch wenn sie noch ein gutes Stück von der Position entfernt sind, an der ich am Rand der Straße warte.  So stand ich auch diesmal wartend auf die sehr kurze Grünphase der Ampel an besagter Straße. Diese Phase ist so kurz, dass man es gerade mit dem Fahrrad herüber schafft, bevor das grüne Männchen wieder rot wird. Früher regte ich mich darüber auf, aber inzwischen gehe ich entspannter damit um, denn es ist eine sogenannte Bedarfsampel, dass b