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Jah-Jah/Jah-Wollski

 

Ich kreiste durch eine unsanierte Festhalle, das Tageslicht schien durch die schmutzigen Fenster auf staubige Holzbalken und einen abgenutzten Parkettboden. Abends wurden hier schon wieder Getränke verkauft und vielleicht Rockkonzerte (AC/DC und Thin Lizzy Coverbands, evtl. ZZ Top, aber keine Purple) gegeben. Der Besitzer kam auf mich zu und ließ seinen Schäferhund von der Leine. Ich flog nach oben über das große Eingangstor und sagte spöttisch "Sorry, I can fly.". Auf dem Querbalken des Tores stand ein altes großes Glas und als der Schäferhund in die Luft sprang warf ich ihm das Glas entgegen, er fing es auf und zerbiss es, kleine Scherben gingen zu Boden und er verletzte sich dabei bestimmt und das tat mir sehr leid. Der Besitzer sagte: "Kann fliegen, ist aber sehr dumm.".  Einige Tage später, es schien wieder die Sonne durch die verschmutzten Scheiben und ich ging zum Tresen vor dem eine staubige Couch stand, kam der Besitzer auf mich zu und drohte damit, mich umzubringen.

Ich erwachte und stellte fest, dass ich, wie schon oft und in vergangen Posts erwähnt, in der Position des Gehängten aus dem Tarot-Deck in meinem Bett lag: die Arme über den Brustkorb gelegt, so dass die Hände über dem Herz liegen, das linke Bein ausgestreckt und das Rechte nach außen gewinkelt. Der rechte Fuß liegt dabei flach auf Höhe des Knies an der Innenseite des Beins an. So liege ich und weiß, dass die Karte des Gehängten Indikator für Perspektivwechsel ist. Hängt er doch Kopfüber an einen Pfahl gebunden und sieht die Welt verkehrt herum. 

Die Bettvariante davon wäre ja, dass ich mich mit dem Kopf zum Fußende drehe. Als Kind war das für mich eine der letzten Möglichkeiten, wenn ich nicht einschlafen konnte. So konnte ich mich statt auf das Wachsein, darauf konzentrieren, wie anders sich die Matratze anfühlt und wie anders das Zimmer von hier aussieht. Ich sah andere Dinge, wenn ich zu den Fenstern sah und die vorbeifahrenden Autos warfen andere Schattenbögen durch die Alu-Rollos. Damals fand ich diese Lamellen-Rollos sehr modern. Denn man konnte sie mit einem Faden nach oben ziehen und dann mit einem Ruck nach links oder rechts in ihrer Position fixieren. 

Da war einerseits das zischende Geräusch beim Hochziehen und das Klicken, wenn die Lamellen aufeinander trafen. Andererseits auch mehr als einmal den Moment, in dem das Zahnrad zur Arretierung nicht einrastete oder ich schlichtweg das Seil in die falsche Richtung hielt und das Rollo sich in seiner ganz Pracht nach unten entfaltete. Meist schlug es dann auf dem Fensterbrett auf und Staub flog durchs Zimmer. Ich musste dann meine gesamte Kraft aufwenden, um das Rollo wieder nach oben zu ziehen. Ein anderes in die damalige Zeit passendes Element war der Stab aus durchsichtigem Plastik, der sich auf der linken Seite des Rollos befand. Mit dem war es durch drehen möglich, den Winkel der Lamellen einzustellen und damit einerseits den Lichteinfall ins Zimmer zu kontrollieren, aber auch die Sichtbarkeit dessen, was im Zimmer geschah. So konnte ich mich hinter die fast geschlossenen Lamellen stellen und durch sie hindurch auf die Straße schauen und die Menschen, die an der Haltestelle gegenüber warteten, beobachten ohne dass ich gesehen wurde. 

Da gab es auch noch die Geste, gesehen in unzähligen Filmen, mit der Hand eine geschlossene Lamelle nach unten zu drücken, um kurzzeitig etwas mehr sehen zu können, begleitet von dem Geräusch des sich biegenden dünnen Metalls. Nicht zu vergessen sind die schmalen Strahlen der Sonne, die an heißen Tagen, wenn die Lamellen fast senkrecht standen, damit es im Zimmer möglichst kühl blieb, durch den Raum schossen und die verschiedenen Partikel in der Luft sichtbar machten. Diese Rollos sind bis heute ein faszinierendes technisches Wunderwerk und wirken sehr modern auf mich. 

Ganz anders waren die Rollladen, wie ich sie aus der Altneubau-Wohnung meiner Großtante und der Gartenlaube meiner Oma kannte. Kurze Anmerkung: Was soll eigentlich ein Altneubau sein? Eine komische Wortschöpfung, die Häuserblöcke beschreibt, die nach dem zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um möglichst schnell viel Wohnraum bieten zu können. Einfache kleine Wohnungen und im Gegensatz zu den (Neu)Neubauten aka Plattenbauten noch mit einem Spitzdach versehen und nicht komplett aus Beton gegossen. 

Diese Rollläden, welche es nicht in der Neubauwohnung meiner Oma gab, die stattdessen ganz altmodisch halbtransparente Gardinen und weinrote Übergardinen vor den Fenstern hatte, wirkten für mich immer angsteinflößend. Denn sie dunkelten den Raum, dessen Fenster sie bedeckten komplett ab, was bei den Lamellenrollos nie der Fall war, insbesondere wenn ein Fenster angekippt war und der Wind sie leicht bewegte (seichtes Zischen) und dadurch ein bisschen Laternenlicht herein schwappte oder durch die Scheinwerfer vorbeifahrenden Autos der Lamellenschatten an der Wand entlangglitt. 

Aber bei den Rollläden gab es nichts mehr außer purer Dunkelheit. Ich erinnere mich gut an den Schrecken, der mich durchfuhr, als ich im Klappbett bei meiner Großtante lag und keinen Unterschied feststellen konnte, als ich meine Augen öffnete und schloss. Es war vollkommen dunkel. 

Am nächsten Morgen, als die Rollläden hochgezogen wurden, war das Tageslicht um so blendender. Obwohl das Licht beim Hochziehen zuerst durch kleine Löcher, die sich zwischen den schweren Lamellen befanden, wie spitze Strahlen in den Raum schoss, was, so meine Interpretation wohl zum Konzept gehörte, um die aufwachenden nicht komplett zu schockieren. Mir fällt jetzt ein, dass diese kleinen Löcher auch das letzte bisschen Licht beim Herunterlassen hereinließen. 

Insgesamt eine sehr unheimliche Angelegenheit, weshalb ich meine Großtante auch, bereits in der Nacht darum bat, die Rollläden doch wenigstens ein Stück offen zu lassen, was sie natürlich auch tat. 

Aber ich glaube auch, dass diese Rollläden Teil der Arbeitskultur und des Schichtbetriebs waren, denn wer von der Nachtschicht kommt, braucht es einfach dunkel und will Dunkelheit und Unabhängigkeit vom Königreich der Sonne. Und wenn das nicht reicht, gibt es immer noch die Möglichkeit, den Kopf ans Fußende zu drehen.

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