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Den Auswurf nicht vor dem Abend loben/Ein Ring aus Freaks


Sie fing letzten Montag an schlechte Laune zufälligen Passanten Querschlägern gleich um die Ohren zu schießen. Jetzt verabschiedet sie sich mit dem befreienden Krachen, dass einem sich lösenden Husten eigen ist. Dazwischen flog sie Angriffe mit Napalmbomben in meinem Rachen bei jedem meiner Versuche etwas von ihr aus mir heraus zu kriegen.

In den letzten Tagen habe ich gelernt mich ihr hinzugeben, allein zu sein mit ihr und nur, wenn ich etwas gefragt wurde zu sprechen. Ich lag wieder viel im Bett, was ich das früher öfter tat. Sie ließ mich die Welt mit anderen (geröteten) Augen sehen.

Ich hatte Zeit, das Buch "Entsichert" zu lesen, dass mir ein sehr freundlicher und gesprächiger Militärhistoriker empfahl. Es verhandelt die These, dass unser neoliberaler Alltag durchsetzt ist von Kriegs- bzw. Militärrethorik und wir uns spätestens seit dem 11. September 2001 in einem kriegsähnlichen Zustand befinden, der unser Konsumverhalten und unser Bild eins starken Staates beeinflusst und diesen Staat aufrecht erhält. Da fallen Sätze wie: "Man nimmt den Menschen die Sicherheit, um sie ihnen zum höchstmöglichen Preis wieder verkaufen zu können." 

Mein Verständnis von wissenschaftlicher Sprache ist nicht ausreichend um das Buch in Gänze verstanden zu haben, aber ich fand es sehr beeindruckend. Das Vorgehen der westlichen Armeen wird mit den Prinzipien des Rock'n Roll verglichen. Ich werde es wohl noch einmal lesen.

In solchen Momenten der Unwissenheit, zweifle ich auch kurz, ob ich nicht doch irgendetwas hätte studieren sollen. Theologie oder Geschichte. Aber als ich im Rahmen eines Schulpraktikums 5 Tage an einer Universität "Gasthörer" war, ging ich nach dem 2 Tag schon nicht mehr hin, weil ich überhaupt nichts damit anfangen konnte. Stattdessen saß ich herum und spielte Gitarre und jetzt sitze ich hier.

In dem Buch oder in dem, dass ich davor las (Cormac McCarthys "Die Abendröte im Westen") stand auch etwas davon, dass sich die Gesellschaft mit einem Ring aus Verrückten, Aussätzigen und Andersartigen umgibt, um sich in ihrer Mitte wohl und sicher vor äußeren Einflüssen zu fühlen. Und so wurde ich etwas stutzig, als ich im Rahmen meines Genesungs-Rückzugs mehrmals glaubte, mit diesem vermeintlichen Ring in Berührung gekommen zu sein. 

Die erste Situation, ich war noch zur Hälfte Herr meiner Sinne, bevor ich 3 Tage lang tatsächlich mehr oder weniger vegitierend Tag und Nacht in Jogginghose umherschlurfte, spielte sich eine Etage unter meiner Residenz ab. (Ich trage diese Hose und einen blauen Wollpullover auch jetzt in diesem Moment der Niederschrift. Um meinen Hals hängt ein gelbes Handtuch an dem ich abwechselnd meine fettigen Hände abwische und Schweiß von der Stirn tupfe.) Zuerst hörte ich ein angeschlagenes Krächzen und Worte wie "Mord, Faschist" in einer mir vertraut überzogenen Weise, und ich dachte einer meiner Mitmenschen gäbe mal wieder eine satirische Geschichtslehrstunde. 

Als ich jedoch Inne hielt, konnte ich anhand des Tonfalls erkennen, dass da jemand wirklich wütend war und entschloss mich nach unten zu gehen. Da ich mich schon in einer Laufbewegung befand, nutze ich die Energie und bat den sehr aggressiven Menschen darum, die Räumlichkeit zu verlassen, während ich mit meinen Armen in oben erwähntem baby-blauen Wollpullover sanfte Stoßbewegungen in seine Richtung ausführte. 

Er gestikulierte, nun im Türrahmen stehend weiter mit erhobenem Zeigefinger in Richtung der hinter mir stehenden Menschen und ließ sein bereits sehr strapaziertes Stimmorgan erneut erklingen. Bei jener Artikulation trafen ein oder mehrere Speichelspritzer auf meinen Augapfel, was mir ein Ausruf des Ekels entlockte. Daraufhin hielt der Mann kurz inne und ich nutze die Gelegenheit sanft die Tür mit ihm außen davor zu schließen.

Zwei Tage später erwachte ich am Morgen aus wirren Träumen, in denen mir bekannte Menschen in manischer zielloser Art Zettel ausfüllten und sie über einen Tresen warfen. Was mich weckte, war ein mehrfaches kindliches Nießen vor meiner Tür, gefolgt von metallischem Rumpeln. Zuerst dachte ich, einer meiner Nachbarn sucht gerade den Meditationspunkt auf seiner Yogamatte. Als ich aber kurze Zeit später aus meinem Bett aufstand, um mich für einen Anwaltstermin frisch zu machen und dann das Haus zu verlassen, musste ich feststellen, dass etwas meine Wohnungstür blockierte. 

Ich zwängte mich durch den Spalt, den ich bis hier hin geöffnet hatte und musste feststellen, dass ein Mensch in zwei Läufer gehüllt auf dem Boden vor der Tür lag. Ich sah eine Wodka-Flasche einer Discounter-Eigenmarke neben ihm liegen. Ich fragte ihn, wie er denn hier her gelangt sei und ob er etwas Wasser haben wolle. Seine Antwort beschränkte sich aber darauf, mich aufzufordern, jetzt endlich zu gehen, weil er schlafen wolle. Da ich kein Unmensch bin und aus eigener Erfahrung die Situation der Desorientiertheit und Müdigkeit in Folge von Alkoholkonsum kenne, sagte ich ihm, er könne bis Mittag hier liegen bleiben. Denn ich war sowieso nicht da. Wen sollte er also stören? Oder war ich einfach nur zu schwach ihn wegzutragen? 

Zurück vom Anwalt, war der Mensch immer noch da, schlief jetzt aber sehr fest. Ich wiederum war sehr unmotiviert die Polizei zu rufen, die in so einem Falle in der GmbH in der wir leben dafür zuständig ist, Menschen dazu zu bewegen, ihren Schlafplatz verlassen. Ich war Unwillens, denn woher sollte ich wissen, ob der Mensch dann ins Gefängnis muss? (Weiter unten dazu noch etwas mehr.) Andere Hausbewohner hatten sich inzwischen auch schon aus Beweggründen wie Neugier und Entnervtheit an der Entfernung versucht, was den Menschen nur dazu brachte, zu wiederholen, dass er jetzt schlafen wolle.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Zustand meiner Erkältung erreicht, der mich taumeln ließ und ich wollte eigentlich nur ins Bett. Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich für einen Kompromiss: Ich rief den Notarzt. Was sich letztendlich auch als sinnvoll herausstellte, denn der Mensch konnte nicht mehr laufen. Er wurde dann ins Krankenhaus gebracht, so schnell, dass ich keine Gelegenheit vor Abfahrt des Krankenwagens hatte, mich nochmal zu erkundigen was mit ihm los sei. 

Das dritte Erlebnis mit dem sogenannten Ring der Aussätzigen, den die Gesellschaft um sich zu schließen pflegt, hatte ich zwei Morgen danach. Mir ging es schon wieder besser, als ich einen Mann erblickte, der durch die Straßen schlich und Pfand von der Straße sammelte. Dort, wo bis vor wenigen Stunden noch "die Gesellschaft" zu feiern pflegte. Er lief in sich kreuzenden Bahnen umher und hob halbvolle Flaschen von den kleinen Grünflächen neben den Häusern.

Diesen Mann habe  ich hier vor sehr langer Zeit schon einmal erwähnt. Ich hatte mit ihm, der jünger war (und ist) als er jetzt aussieht, mal ein Gespräch geführt. Wir saßen auf zwei Klappstühlen an der Straßenecke vor meinem Haus. Damals sagte er, sei er in die Stadt gekommen, um als Koch zu arbeiten und machte auf mich einen offenen und entschlossenen Eindruck. 

Nur wenige Wochen später sah ich ihn mit Bierflasche in der Hand durch die Straßen taumeln und beobachtete, wie sich der Zustand seiner Verwahrlosung steigerte. Zwischenzeitlich trug er sogar ein Merchandise-Shirt meiner Band "206", dass ihm irgend jemand gegeben zu haben schien. Ich habe ihn nie darauf angesprochen. 

Überhaupt habe ich ihn nach unserem Gespräch im Frühling an der Straßenecke nie wieder angesprochen. Vielleicht sollte ich das mal tun und nicht beschämt den Blick abwenden und in Panik geraten, wenn mir ein Mitglied des äußeren Rings begegnet

Ich stelle in diesem Moment auch fest, dass es Parallelen gibt, zwischen dem im letzten Eintrag erwähnten irrsinnigen Wunsch, Dinge aus der eigenen kleinen Welt als verschwunden anzusehen, die man ins Klo oder in den Müll bringt. Und dem Wunsch, eine Institution sich darum kümmern zu lassen, unerwünschte Gäste aus der eigenen kleinen Welt zu befördern. In beiden Fällen zu glauben, die Dinge und Menschen wären wirklich weg ist absurd. Daher rührte vielleicht mein oben genannter Unwille die Polizei zu rufen.
Übrigens ist man auch innerhalb des Ringes nicht davor gefeit, in Situationen zu geraten aus denen man ohne fremde Hilfe nicht wieder heraus gelangt. So geschah es mir innerhalb eines Tages zwei Mal, dass ich im Spa-Bereich meiner Unterkunft ohne Schlüssel oder Telefon von anderen Gästen, die wohl ein höheres Sicherheitsbedürfnis hatten eingeschlossen wurde. Aus beiden Situationen konnte ich aber nach kurzer Zeit, die ich dafür nutze, solche Gedanken wie jene hier zu verfestigen, befreit werden, da ich mit Klopfzeichen auf meine Existenz aufmerksam machte.

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