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Mein Kampf am laufenden Band

Ich kannte eine Frau, die war wie der 11. September. Sie veränderte meine Glaubens- und Moralvorstellungen von einem auf den anderen Tag und diese Veränderungen wirkten sich viele Jahre aus. Gedankenkonstrukte stürzten Zusammen, nachdem ihre Radikalideen hinein flogen. Kriege wurden geführt ohne wirklichen Grund. Vielleicht lag es daran, dass sie am 11. September geboren wurde. 

Im letzten Jahr schenkte ich ihr einen Strauß Blumen obwohl wir uns bereits ausgiebig hassen gelernt haben. Und dann klirrte das letzte Geschirr im leeren Spülbecken in tausend neue Möglichkeiten. Überhaupt: wer viel Geschirr zerschmeisst, ist kein Tollpatsch sondern Hilft dem Glück nur etwas auf die Sprünge. 

Der Schmerz wird weniger, doch verschwinden wird er nie. Er tritt zur Seite und macht Platz, dem süssen Zynismus, macht Platz für Scherze, Optimismus und neue Herzen.

Hey, es geht uns doch ganz gut, oder?

(Stille am anderen Ende der Leitung)

Bleiben wir bei Nein-I-lewen: Im Jahr 2001 verlor ich meine Unschuld. Nach 2001 war alles anders. Ich lachte über das, was ich, abhängend mit damaligen Freunden in einer WG aus dem Radio vernahm. Der Reporter sprach von Flugzeugen, die in New York in Gebäude flogen. Damals prägte mich noch ein recht starker Hass auf Amerika als kapitalistisches Feindgebilde. So was hilft ja perspektivlosen wohlstandsmüden Jugendlichen, wie ich einer war. Etwas ernster wurde ich als eine Freundin mich auf dem Festnetztelefon in dieser WG einige Minuten später anrief und weinend verkündete, dass dort Menschen starben. 

Ein paar Sternburgs später stand ich im Wohnzimmer meiner Eltern - beide betrachteten das Geschehen im Fernsehen. Ich sah brennende Türme und wie ein Flugzeug dort hinein flog. Immer wieder - und meinte nur, dass das doch mega abgefahren sei. Meine Eltern erwiderten, ich möge doch begreifen, dass das real sei. 

Ich zollte kaum Respekt, ich war ein junger dummer Rebell (wie auch heute noch). Hab aber nach wie vor das Gefühl, dass dieser 11. September ein einschneidendes Ereignis im Leben meiner Generation war. Irgendwann werden uns die Nachgeborenen fragen: Wo warst ihr, als es geschah und warum verdammt nochmal, habt ihr so getan, als hättet ihr nicht gewusst, dass alles geplant war. Den ersten Teil der Frage hab ich schon mal beantwortet. 

Den zweiten Teil kann ich für mich so beantworten: die Ereignisse wirkten so obskur und filmisch, dass für mich seit jener Zeit, Gewaltereignissen jeder Art, etwas halbrealistisches und unnahbares anhaftet. Damit meine ich, dass ich sie zwar wahrnehme, aber nicht wirklich an mich heran lasse. Aus Schutz? Kann sein. Aber auch schöne Sachen kommen wenig an. In jedem Falle lagen wir in einem kollektiven Koma und nannten es Wirklichkeit.

Ein paar Jahre später sah ich die von mir verehrte Band Bauhaus in Berlin. Das Konzert war großartig, aber wirkte in seiner Realität verdammt unreal auf mich. Wie soll ich es beschreiben? Die Akteure wirkten Zwei-Dimensional. Vielleicht weil ich sie vorher nur auf Bildschirmen und Bildern sah? Entsteht die Enttäuschung dadurch, dass die Realität weniger Fantasie zulässt, als das Anstarren von Idolen in Videos auf Bildschirmen? Kommt ihr hinterher? Ich selbst nicht so ganz. Aber so erlebe ich es noch heute, wenn es mich mal in eine Fan-Situation verschlägt.

Hinterher komme ich auch am Kassenband beim Einkaufen nicht. So war ich letztens Nahrung besorgen mit Special K. Als wir an der Kasse waren, packte ich Ware in eine Tüte. Special K fragte mich: "Was machst du da?" Ich antwortete: "Ich packe die Nahrung ein." Ich tat, als wüsste ich nicht, warum er so verwundert war. Wobei, in dem Moment wusste ich es wirklich nicht. Er meinte, ich würde unglaublich lange brauchen um die erworbenen Lebensmittel einzupacken. 

Und ja: ich bin da etwas langsam. Abgesehen davon, dass ich es sehr anstrengend finde mit anderen Leuten gemeinsam Regalreihen entlang zu gehen und Dinge auszuwählen und ich, weil sie hastig Sachen über den "Scanner" zog, einer Kassenkraft einen unsauber geschnittenen Mittelfinger (versehentlich) über die Haut ihres zarten Unterarmes zog (sie hat sich nichts anmerken lassen, ich entfernte die Hautfetzen noch im Markt und schnippte sie in die Backwarenabteilung), lasse ich mich nicht von irgendwelchen Kassierern oder Kassiererinnen geschweige denn Kunden oder Kundinnen, beim Packen drängeln. 

Oder werden dem, der seine Waren nicht schnell genug aus dem Markt trägt, diese wieder weg genommen und die Hände abgehakt? Ich bezweifle es und lasse mir deshalb Zeit. Nicht übermässig, aber ich schmeisse die Artikel nicht panisch in die Transportbehältnisse. Nein, ich schmeisse sie entspannt und auch ohne Ordnung dort hinein. Denn mir geht es ja nicht um eine fachgerechte Verstauung, die in anderen Augen die "Langsamkeit" rechtfertigen könnten. 

Es geht um das Chaos der Ruhe, denn Chaos regiert.


Die Frau vom 11. September wollte irgendwann nichts mehr mit mir zu tun haben. Unter anderem warf sie mir die oben erwähnte Packlangsamkeit vor. Wenn's nur das gewesen wäre...Manchmal denke ich noch daran, aber es wird weniger.

Feuer
Geh mit mir
Ins Feuer
Geh ich mit dir

TV.

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