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Sandvampir/Samptpapier


Ich habe die Batterien einer Uhr gewechselt. Sie ging eine Zeit lang falsch, dann hing sie auf 9:26 fest. Der Sekundenzeiger, wie das Bein eines Insekts, dass in den letzten Zuckungen liegt, bevor es durch Kälte oder weil jemand auf seinen Hinterleib getreten ist stirbt. Wobei - Menschen sterben. Tiere verenden. Das hat etwas mit Moral und Pietät zu tun, glaub ich. Ich habe also der Uhr neue Lebensenergie gegeben, die Batterien hießen sogar Energizer und sie tickte wieder. Dann stellte ich sie an dem kleinen Rädchen auf der Rückseite wieder so ein, dass sie die richtige Zeit anzeigte. Erst drehte ich die Zeiger in die falsche Richtung, so dass sie rückwärts liefen und für einen Moment dachte ich, es geht jetzt in die Vergangenheit und ich habe die Kontrolle über das Zeitkontinuum. Dann drehte ich in die andere Richtung und näherte mich dem Jetzt, was 14:16 war. 

Die Uhr ist nur ein Messgerät, sie ist nicht die Zeit. Das Drehen beschleunigt den Zeitenlauf nicht und kehrt ihn nicht um. Aber es wäre interessant, wenn das gehen würde. Ich müsste die Erde an einen langen Strick binden, mich zur Sonne begeben und mich dann beginnen im Kreis zu drehen, so dass unser Planet sich schneller auf seiner Umlaufbahn dreht. Zumindest für das Leben auf der Erde würden die Tage dann schneller vergehen. Aber damit auch die Zeit? Nicht für mich. Ich begnügte mich deshalb damit, die Uhr einer Reinigung zu unterziehen. Auf ihr sammelten sich Überreste von Insekten und Staub. Dann kamen die Vögel. Die Sprühflasche aus der ich Glasreiniger aufbrachte klang beim Pumpen wie ein Entenschwarm. Und als ich mit Küchenrollenpapier auf der Oberfläche der Uhr herum rieb, erklang das Gekreische von Kranichen. Ich rieb ein bisschen länger als nötig und sah den Schwarm von vielleicht 15 Tieren über das Ziffernblatt in die Zukunft ziehen. Dann hängt ich die Uhr wieder zurück an ihren Nagel an der Wand. 

Später kaufte ich ein Messer. Beschloss es nicht zu bestellen, sondern in einem Geschäft zu besorgen. Ich wusste von einem Haushaltswarenladen in der Nähe, der wie viele dieser Geschäfte auch gleichzeitig ein Paketshop war, in dem ich mal etwas abgeholt oder abgegeben habe. Und wie die meisten Läden kam es mir auch hier so vor, als ob das Paketgeschäft den Hauptteil der Umsätze ausmacht. Mich verblüffte beim Betreten der Geschäftsräume, das hier zur Gestaltung mit Pflanzen aller Art nicht gegeizt wurde. Überall Palmen, aber auch weihnachtliches Tannengrün und blühendes Grün. Von Haushaltswaren war nichts zu sehen. Die Kasse befand sich im hinteren Teil des Ladens zu dem man über eine kleine Treppe gelangte. An der Kasse stand eine Frau, ihr gegenüber saß vor den Regalen ein Mann in einem Sessel. Ihr Mann? Ich sprach einen Gruß aus, den beide erwiderten. Sie freundlich, er etwas träge. Als ich jedoch meinen Wunsch äußerte ein Messer erwerben zu wollen, war Verwunderung in den Gesichtern zu sehen. 

Der Mann, der in seinem Sessel irgendwo zwischen Schlaf und Wach sein Dasein genoß, ruckte hin und her während seine Frau mich gemessenen Schrittes zu dem kleinen Regal mit den Messern führte und mir in einer sehr langsamen Sprechweise und mit ebensolchen Handbewegungen die Auswahl präsentierte. Es schien mir, als hätte mein Kaufgesuch beide für einen kurzen Moment aus ihrem Paketkoma erweckt und noch einmal in die Vergangenheit geführt, als Leute hier rein kamen, um Töpfe, Tischdecken oder Messer zu erwerben. Ich erkundigte ich dann auch noch nach dem an der Tür beworbenen Angebot, hier Messer schleifen lassen zu können. Woraufhin der Mann sehr zügig seinen Sessel verließ und noch weiter hinten in den Räumlichkeiten verschwand. Seine Frau äußerte sehr langsam den Satz: "Ja, das ist möglich. ER ist jetzt wieder aktiv." Mit  "ER" meinte sie sicherlich ihn, den verschwundenen Gatten. 

Die ganze Szene wurde begleitet durch das Zwitschern zweier Wellensittiche, die sich in einem großzügigen Vogelbauer auf dem Kassentisch aufhielten. Wenn sie gesprochen hätten, hätten sie bestimmt so etwas wie "Sendungsnummer" oder "Nee, das Paket ist hier nicht abgeben worden." gesagt. Ich verkniff mir beim Bezahlen die Frage an die Frau, ob sie die Vögel hier drin auch manchmal frei herumfliegen ließe, um sie nicht noch mehr zu verwirren, nahm meine Quittung und das Wechselgeld für das nicht ganz billige Messer entgegen und verließ das Geschäft in Richtung Zukunft ohne Einzelhandel.

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