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Kältebrücke/Luftbungalow


An einem Feuer ein paar Meilen hinter der Front in einem asymetrischen Krieg, was in unserer Zeit eigentlich jeder Krieg ist, sitzen Soldaten. Es ist ein Moment der Ruhe und sie unterhalten sich darüber, wie sie hier her gelangt sind. Die meisten von ihnen sind Söldner, gekaufte Kämpfer oder solche, die in ihrem normalen Leben von der Bahn abkamen, irgendeinen Mist bauten und nun, anstatt ihre Strafe im Gefängnis abzusitzen, kämpfen. Es ist, wie bereits erwähnt, die Zeit der asymetrischen Kriege, Kriege in denen es um Rohstoffe oder globale Herrschaftsansprüche irgendwelcher Großmächte geht. Wofür sie kämpfen, interessiert die Söldner nicht, sie bauen sich ihr eigenen Kausalkonstrukte, die ihre kriegerischen Handlungen rechtfertigen,warum sie hier kämpfen, töten und sterben. 


So auch einer, der etwas abseits auf seinem Kevlarhelm sitzend, einen salzigen Keks kaut. Auf dem Boden hatte er mit einem Stock um sich herum einen Kreis in den sandigen Boden gezogen. Die anderen Söldner haben dies schon öfter beobachtet, sich gewundert, aber die Geste akzeptiert und als einen Wahn abgetan, wie er in Extremsituationen nun einmal die Menschen befällt. Sein Gesicht ist von einem dürren Bart überwuchert, die Fingernägel sind schmutzig. Seine schmalen Augen aufs Feuer gerichtet, setzt er leise an, seine Geschichte zu erzählen: 


"Ich möchte euch heute erklären, warum ich stets etwas abseits von euch sitze. Ich weiß, dass ihr jeder für sich aber auch gemeinsam darüber nachdenkt. Aber Denken mindert die Kampfkraft, deshalb hört mir nun zu: Es war am 31. Oktober vor 3 Jahren, Walpurgisnacht. Ich war, wie immer nach der Arbeit zum Stressabbau, in die Kneipe gegangen - saufen. Ich schüttete die Biere in mich rein und ließ die soziale Wirkung des Alkohols ihren Dienst tun. Ich fing irgendwann an, mich mit den Leuten zu unterhalten. Weil ich ihnen zuhörte, fassten sie vertrauen und ich gab ihnen sanfte Ratschläge, die ich mir aus dem erzählten zurechtbog, was die Menschen goutierten. Ein paar von ihnen kannte ich, andere nicht. Ich machte da zusammen mit den Bieren keinen Unterschied mehr. Keiner von ihnen war mein Freund oder meine Freundin und würde es auch nicht werden. Die Nacht schritt voran und als die Sperrstunde nahte, machte ich mich auf den Weg zu meiner Unterkunft. Ein Motel an einer Bundesstraße, direkt an eine Fabrik angrenzend, die zwischen Nadelbäumen hell beleuchtet leise surrte. Ich hatte vergessen die Einwohner zu fragen, was dort hergestellt wird. Wahrscheinlich wie überall in dem Gebiet Leichtmetallfelgen für Autos. Sogenannte Aftermarket-Produkte, für die die weniger gut verdienenden Schichten ihr Geld ausgeben konnten, um ihren gebrauchten Honda Civics oder Seat Alhambras einen Hauch von Klasse und Sportlichkeit verleihen zu können. 


Während ich also auf das Motel zusteuerte überkam mich der Gedanke, dass ich, wenn ich schon Bierratschläge an alle verteile, mir selbst doch auch mal zuhören könne und so lauschte ich nicht nur dem Geräusch das meine Füße im feuchten Schotter machten, sondern auch der Stimme in meinem Kopf, die sagte: "Ich möchte der Natur nahe sein, etwas spüren." Ich wusste, dass hinter der Fabrik ein Hügel war, naja, fast ein Berg würde ich sagen. Und so begann ich auf diesen Berg zuzugehen. 


Ein kleiner Weg führte nach oben und trotz der Dunkelheit fiel es mir nicht sehr schwer, dem Pfad zu folgen. Links und rechts brachen Felsen aus dem bemoosten Boden und ich fühlte eine Erleichterung mit jedem Schritt, der mich weiter von der Straße, dem Motel und damit den Menschen weg führte. Auf der Spitze des Berges angekommen, hielt ich kurz inne, schaute mich um. Ich sah ein paar Sterne über mir und zwischen den Bäumen die Lichter der Fabrik. Neben mir erahnte ich weiches Moos und Wurzeln. Aus einem Impuls heraus begann ich meine Kleidung abzulegen, bis ich vollkommen nackt dort oben stand. Ein Fuß auf einem Fels, den anderen auf feuchtem kaltem Moos. Ich atmete ein und aus und versuchte, so wie es mir noch einige Jahre vorher ein Weiser riet, einen klaren einfachen Wunsch an die Natur und ihre Kräfte zu richten. Ich wünschte mir Gesundheit und Glück für die, die mir nahe stehen, weil ich wusste, dass es da einige Kämpfe gab, die ein bisschen Unterstützung von Außen vertragen könnten. 


Ich sprach es leise aus und legte mich danach noch 3 Minuten auf meine Polarjacke und schaute in die Sterne, hörte den Wind in den Bäumen rauschen und ab und zu ein Knacken. Hatte ich nicht auch ein Reh gesehen? Die Kälte kroch langsam in mich hinein und ich begann mich wieder anzuziehen, was auf Grund des Alkohols mit erhöhtem Konzentrationsaufwand verbunden war. Ich hatte meine Socken in meine Schuhe gesteckt, was sich jetzt als lohnenswert herausstellte, denn sie waren trocken und ich konnte den Weg nach unten beginnen. Ich rutschte mehrmals aus und stürzte, fiel auf die Felsen, lachte und spürte irgendwann wieder den Schotter unter den Schuhen. Wie ich in mein Bett gelangte, entzieht sich meiner Erinnerung. 


In den darauf folgenden Tagen schämte ich mich etwas für meine trunkene Aktion. Aber die Scham darüber und auch die Angst, vielleicht die falschen Geister kontaktiert zu haben, eine Folge des Konsums zu vieler Horrorfilme, blich im Lichte der Tage und der Arbeit mehr und mehr aus. Allerdings bemerkte ich, dass die Probleme der Menschen in meinem Umfeld zunahmen. Hier ein Geschwür, dort eine Wahnvorstellung oder auch ein plötzlich stehen bleibendes Auto erschienen mir verdächtig. Es schien, als ginge eine Kraft von mir aus, die Unglück über meine Umgebung brächte. Als mit der Zeit dann die Todesfälle rapide zunahmen hatte ich Gewissheit: Aus irgendeinem Grund hatte sich mein Wunsch nach Heilung und Gesundheit ins Gegenteil umgekehrt. Vielleicht waren es die Socken oder meine undeutliche Aussprache. Ich ging nicht zu dem Weisen, um zu erfahren, was ich falsch getan haben könnte, denn ich wollte ihm nicht schaden. So begann ich mich mehr und mehr zurück zu ziehen, verlor meinen Job, verlor alle Kontakte, war allein. Um über die Runden zu kommen, begann ich damit, Auftragsmorde zu begehen oder wie es in diesen Kreisen hieß, Leute "aus dem Weg zu räumen" oder auch einfach nur "weg zu machen". Eine furchtbare Zeit. Dann brach, wie ihr alle wisst,  dieser Krieg aus und ich meldete mich bei der Truppe." 


Er hielt kurz inne. Das Feuer knackte und von der Frontlinie war das unentwegte Grollen der Artillerie zu hören. Er nahm einen Schluck Cola aus der Dose vor ihm und hob an: "Ihr habt euch sicher gefragt, warum ich immer an eine Drohne geschnallt über die Lager des Feindes geflogen werde oder in Tarnkappe um ihre Stellungen schleiche. Ich tue dies, weil ich erkannt habe, dass es das einzige ist, wofür mein Fluch gut ist. Menschen vernichten. Also bitte ich euch darum: Wundert euch nicht, dass ich euch meide. Und feiert mich nicht für meine Taten. Es ist zu eurem Besten.


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