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Auge knarzt wie alte Dielen/Autonarko

 


In dieser Nacht wachte ich auf und rang mit den Vorstellungen, wie es sei mit einer Fähre in der herbstlichen Ostsee in einem Sturm unterzugehen und den Dingen die ich für die nächste Woche in Form zu bringen hatte. Atemkonzentration half nicht und ich blickte auf die Sterne vor dem kleinen Fenster. Nach ein paar Minuten versuchte ich es mit einer alternativen Technik, die ich schon einige Male angewendet habe: ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich in ein Auto vor der Tür steige und eine Strecke fahre, zb. von Leipzig nach Halle. 

Dabei stelle ich mir alles möglichst im Detail vor: Ich steige in das Fahrzeug, richte mir den Fahrersitz so ein, dass ich über das Lenkrad schauen kann und an die Pedale komme, starte den Motor und lege den Gang ein. Hier fängt die Vorstellung an zu holpern. Wann schalte ich in den dritten Gang? Da vorne kommt die Kreuzung, aber auf die Bundesstraße komme ich da nicht. Ist es mir jetzt, da es eine Vorstellung ist, erlaubt das Fahrzeug einfach zu drehen? Diese Fragen ließen mich abdriften und ich fand mich im weinroten Saab 9000 meiner Eltern wieder. Der Gebrauchtwagen stand in Schweden vor einem einstöckigen gemieteten Ferienhaus am Waldrand, dass mir innen recht dunkel in Erinnerung ist und ich verbrachte einige Zeit damit im besagten Fahrzeug am Steuer zu sitzen und imaginiert durch die Gegend zu fahren. 

Außen weinrot, waren die stoffbezogenen Sitze und die Verkleidungen in Beige gehalten, das Lenkrad schwarz, aber das weiß ich nicht mehr ganz genau. Manchmal saß sogar meine Schwester neben mir auf dem Beifahrersitz und wir fuhren durchs Land, simulierten die Urlaubsreise in den Urlaub, den wir gerade machten. Musik hörten wir dabei nicht, denn ich hatte den Zündschlüssel (in weiser Voraussicht meiner Eltern) nicht bekommen und so ging auch das Radion nicht an. Ich hätte sehr gerne die goldene "HIStory" Best-Of-Doppel-CD gehört, die mein Vater im selben Jahr zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Aber der Versuch scheiterte damit, dass ich die Scheibe in das nachträglich eingebaute CD-Radio schieben wollte, sie aber stecken blieb, das CD-Radio wurde im  selben Urlaub noch aus dem Auto gestohlen. 

Wie bei allen anderen Autos vorher und nachher erinnere ich mich aber, dass das Fernlicht, bzw. die sogenannte "Lichthupe" das einzige war, was ohne Zündschlüssel, also Aktivierung der Fahrzeugelektronik funktionierte. Das Lenkrad ließ sich nicht wirklich drehen, da die Sperre eingerastet war. Die Pedale, ich erreichte sie gerade so mit meinen Füßen konnte ich treten und auch den Ganghebel betätigen, aber das war dann auch der Grund, warum mir mein Vater das Spiel irgendwann untersagte. Er meinte ich würde damit unablässig Benzin in den Motor pumpen und das würde dem Auto schaden. 

Abgesehen davon gingen so manches Mal, wenn er das Auto startete die Scheibenwischer unkontrolliert los oder das Radio lief auf voller Lautstärke. Ganz zu schweigen von anderen Fahrzeugen zu anderen Zeiten bei denen ich das Licht angelassen hatte und wir dann auf dem Parkplatz an der Gartenanlage meiner Oma fest saßen. Das war bei einem amerikanischen Auto mit alter Batterie passiert, die immer ziemlich schnell runter war, Ersatz war schwer zu bekommen. Schwere Schuldgefühle bei mir und die große Angst auf diesem Parkplatz im Nirgendwo von Sachsen-Anhalt fest zu sitzen, vielleicht auch für immer in der Gartenlaube meiner Oma wohnen zu müssen oder in dem Pontiac.

Am Ende wird es für alle Beteiligten eine angenehme Abwechslung im Wochenendtrott gewesen sein, die Karre wieder in Gang gebracht zu haben. Starterkabel, das Jaulen des Anlassers und beim dritten Versuch dann das beruhigende tiefe Brummen des 3,6 Liter Sechszylinders auf dem staubigen von hohen Pappeln eingerahmten Platz, den wir dann auch nach kurzer Zeit verließen. 

Ich verbinde Autofahren immer mit einem beruhigenden Gefühl, auch heute, wenn ich zu Konzerten unterwegs bin und von gnädigen Fahrerinnen und Fahrern nebst Equipment von A nach B kutschiert werde, genieße ich die Bewegung und den Anblick der Landschaft, die vorbei zieht. Auf dem Weg nach Berlin zum Beispiel die Felder von SA, dann die hohen dünnen Kiefern links und rechts der Fahrbahn in Brandenburg und ich selbst in diesem geschlossenen vibrierenden Kasten auf vier Rädern. 

Die anderen unterhalten sich, P zum Beispiel sieht einen LKW mit Anhänger auf dem mehrere kleine Anhänger transportiert wurden. Das finden wir absurd. Was die Menschen alles durch die Gegend transportieren. Ich beteiligte mich nicht weiter an diesem Gespräch, musste ich auch nicht, denn es war eben eine typische Autobahnunterhaltung über etwas, dass vorbei zog und im nächsten Moment gar nicht mehr da war und damit zuließ schnell auf eine philosophische Ebene zu wechseln, die aus dem Gesehenen entstand. 

Ich schaukelte meinen dösigen Gedanken hinterher und stellte für mich selbst fest, dass das absurdeste was transportiert wurde doch die Menschen an sich sind. Mir fiel ein silberner Golf der vierten Generation mit Berliner Kennzeichen in einem kurzen Baustellenstau auf. Auch hier wieder schnell der Lift auf eine sozialkritische Ebene des zu Sehenden, denn der Stau entstand ja nur, weil viele Fahrerinnen und Fahrer sich vordrängelten im Reißverschlusssystem und auf die Rücksicht derer setzten, die schon in der richtigen Spur waren. 

Dieser silberne unauffällige Golf jedenfalls löste in mir eine unerwartetes Unwohlsein aus, eine Angst vor Metropolen. Einfach nur dadurch, dass ich wusste, dass in diesem Fahrzeug ein Mensch saß, dessen Charakter ich kaum durch die staubige Heckscheibe erkennen konnte. Aber es muss ein Mensch mit einem Charakter gewesen sein, der auf diese Metropole zu fuhr, in diesem Fall Berlin, in ihr wohnte, dort ein Leben führte, geprägt von kleinen individuellen Ausgestaltungen, wie der schon leicht angestaubten Deckenlampe aus blau gemustertem Papier im Wohnungsflur oder der Laptoptasche aus Leder, in der auch ein kleiner weinrot eingebundener Terminkalender mit Gummiband lag. Und von diesen Menschen gab es dort ganz viele und ich fühlte in diesem Moment eine Überforderung in Anbetracht dieser Anhäufung von individuellen Lebewesen, die dort ihr Dasein fristeten in mir aufsteigen, gefolgt von einer Trauer und undefinierbarem Mitleid. 

Der Stau löste sich dann relativ schnell auf und wir konnten unseren Beitrag zu Hendrik Otrembas Buchpremiere leisten. Und auch meine Auto-Einschlaftechnik hatte in der wachen Nacht funktioniert, denn ich fand mich kurze Zeit später im Traum in einer feucht-warmen Jugendherberge wieder in der mich ein junger Mann mit hellblonden kurzen Haaren an den Schultern rüttelte und mich mit flehendem Blick anschrie, er wolle "nicht dupliziert werden". In diesem Moment tauchte er tatsächlich gedoppelt auf, rang mich auf den Boden und sang mir zwei nachdenkliche Zeilen in einer schönen Melodie vor. Ich zwang mich aufzuwachen und mir die Melodie und den Text zu merken. Im halbwachen Zustand glaubte ich, ich hätte sie festgehalten. Als es dann hell wurde und ich langsam wieder wach, blieb aber nur die Ungewissheit des Vergessens und ob da überhaupt eine Melodie war oder nur die Erinnerung an eine. Heute fahre ich zu meinen Eltern und helfe meinem Vater seinen neuen Dienst-LKW von Innen mit Holz zu beplanken.

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