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Riechen wollen/Wie andere Leben


Zwei mit Müll gefüllte Regentonnen wackeln auf dem LKW sanft hin und her. Wir entfernen uns von einer Garage, die wir entrümpelt haben und in der 8 Wolfsspinnen wohnen und nähern uns einem der Wertstoffhöfe dieser Stadt. Wie immer sind wir dem Bediensteten-Roulette auf diesen städtischen Höfen unterworfen. Bei meinen letzten Besuchen hatte ich Glück und bin immer an den netten, mit einem merkwürdigen zwischen brandenburgisch und hanseatisch mäanderdem Akzent rundlichen Typen geraten, der weiß, was er tut, es einen aber nicht permanent spüren lässt. Diesmal aber sehe ich den Branseaten nicht. Stattdessen nähert sich ein Hofarbeiter der bereits heruntergekurbelten Scheibe auf der Fahrerseite und gibt ein Geräusch von sich, dass vor langer Zeit mal ein "Guten Tag, was haben Sie denn dabei?" gewesen sein muss, nach Jahren der Arbeit hier aber auf einen kurzen tonalen Laut zwischen "hmpf" und "uh-hum" reduziert wurde. Denn macht das denn noch einen Unterschied? Jedenfalls lässt er uns seine Macht spüren. Ich bringe die kleine Kiste mit ein paar Drähten und alter Weihnachtsbeleuchtung zum Elektroschrott und dann heben mein Begleiter und ich die erste Regentonne in den Sperrmüll-Presscontainer. 

Immer wenn ich hier bin, starre ich auf den NOT AUS Knopf, der im Gegensatz zu den anderen Knöpfen fast unbenutzt aussieht. Ob er sich ausgegrenzt oder nutzlos fühlt, dieser Knopf? Er führt auf jeden Fall ein etwas abseitiges Dasein. Denn: Im Prinzip muss er nie etwas tun, aber wenn er gebraucht wird, dann in einem Moment des Schreckens. Angefangen dabei, wenn beim Hineinwerfen einer Müllkiste plötzlich ein Silberbesteckkasten in die Presse fällt und endend natürlich, wenn ein Mensch versehentlich in die Presse gerät. Aber wenigstens drückt nicht jeden Tag mehrmals jemand auf ihm rum. 

Unter den Augen des Aufsehers schütten wir also die erste Tonne in den Container und gerade als wir die zweite Tonne nach oben wuchten wollen, werden wir unterbrochen und gefragt, warum wir nicht vorher sortiert haben. Mein Einwand, dass wir das gemacht haben, wird jäh unterbrochen mit einem "Und was ist das hier?" - gefolgt von einem willkürlichen Griff in die Tonne. Die mit einem Arbeitshandschuh geschützte Hand wiegt verächtlich einen kleinen Gipsbetonstein hin und her und sagt: "Stein." - so scheint das nicht zu gehen und wir werden aufgefordert mit unserer Tonne zu einem anderen Hof zu verschwinden, wo uns das vielleicht abgenommen wird. Diesem Machtbeweis folgend, verlassen wir den Ort, ich sehe im Rückspiegel noch, wie der Bedienstete im Container rumstochert und dann doch die Presse aktiviert, damit alles komprimiert wird, bevor es mit dem nächsten LKW in die Verbrennungsanlage gefahren wird. 

Der nächste Verwertungshof ist nicht weit entfernt hinter einer kleinen Siedlung am Stadtrand. Die Ausmaße hier sind gewaltiger. Ein ungefähr fünfhundert mal fünfhundert Meter großes Areal, durch 8 Meter hohe Betonmauern gleichmäßig in Areale unterteilt in die diverse Arten von Schutt, Schotter, Müll, Steinen und Dreck im Allgemeinen abgeladen wird. Vorrangig von großen LKWs. Aber manchmal werden eben auch normale Bürger hier her geschickt. Wir rollen sehr langsam auf das Kontrollhäusschen am Eingang zu. Niemand regt sich. Schemenhaft ist am anderen Ende des Areals ein Mensch in orangener Schutzkluft zu erkennen. Aber er ist völlig starr, so als wüsste er, dass wir ihn nicht bemerken würden, so lange er sich nicht bewegen würde. Unser Fahrzeug rollt aber weiter und irgendwann bewegt sich erst ein Arm und dann setzt sich der Mensch in Bewegung, kommt auf das inzwischen zum Halten gekommene Fahrzeug zu. Wir steigen aus, werden aber von dem nun doch recht aktiven Wesen darauf hingewiesen sofort, also unverzüglich wieder einzusteigen, da auf dem gesamten Gelände das Tragen einer Warnweste Pflicht ist. "Wahrscheinlich", so sagt mein Begleiter, als wir wieder im Auto sitzen, "wurde er einfach unruhig, denkt, wir gehören zu den amerikansichen alliierten Kräften.", da wir beide M65 Jacken tragen. 
Keine Chance eine Frage beantwortet zu bekommen, was wir zu tun hätten, um unseren Müll loszuwerden. 

Nun also zurück zum Pförtnerhäuschen, aus dem jetzt ein anderer Mensch ohne Weste kommt und uns in Gänze auf eine Waage lotst. Das Fahrzeug, wir und der Müll werden gewogen. Im Häusschen, dass mit Rasierwasser- und Kaffeeautomatenaroma gefüllt ist, gibt's dann ein Blatt Ökopapier aus dem Drucker ausgehändigt. Während des Tippens der Dokumente und dem Rattern des Druckers, scharre ich mit einem Finger in einer kleinen Plastikdose die mit Schotter gefüllt ist, herum. Sie steht ohne weitere Erklärung auf dem Bürotresen. Nachdem wir uns zwei Warnwesten über die Jacken gezogen haben, fahren wir zurück ans hintere Ende des Areals. Hier warten jetzt drei Menschen auf uns. Einer hebt den Arm und weißt uns an, nach rechts zu fahren, wir halten und werden jetzt gefragt, was wir dabei hätten. "Sperrmüll" sage ich und wir schütten unsere Regentonne an den Fuß eines riesigen Berges aus Gipsbetonsteinen, Plastiktüten und Möbelresten. Bevor wir gehen dürfen, stochert ein weiterer der drei Männer mit dem Fuß durch den kleinen Anteil, den wir zu diesem Berg beigetragen haben und sagt: "Hier, die Giftspritze, die ist kontaminiert, die nehmt ihr wieder mit." - ich denke erst, er meint irgendeine medizinische Nadel, aber sehe dann, dass sein mit einem abgenutzten Sicherheitsschuh bewährter Fuß auf eine altertümliche Handpumpe deutet, die gern in Gärten eingesetzt wird, um mit Brennnesselsud befüllt, gegen Blattläuse eingesetzt zu werden. Ich nehme die Spritze an mich. 

Es folgt Schweigen, Schweigen der Macht und Schweigen des Ausgeliefertseins. Ich frage, ob mit dem Rest alles klar ist, werde kurz betrachtet und deute das als Zeichen, dass wir jetzt wieder gehen dürfen. Höfliche Worte des Dankes von meiner Seite, fast unmerkliches Kopfschütteln auf der anderen. Wir behalten unsere Warnwesten noch lange an. Und ich denke nach, warum die Menschen auf diesen Höfen so sind: Sie sind umgeben von dem, was die Gesellschaft nicht mehr haben will, weil es veraltet ist, etwas neuem weichen muss oder einfach nur, weil das Bedürfnis nach Konsum dafür gesorgt hat, dass zu wenig Platz in den Behausungen ist. Müll in seiner reinsten oder auch gemischtesten Form, giftig, stinkend, auf jeden Fall immer etwas, das keine Funktion mehr hat und für die meisten Bewohner von Städten durch die Entsorgung im Mülleimer einfach verschwindet. Die Menschen auf diesen Höfen wissen aber ganz genau, dass dieser Müll sich nicht auflöst, er existiert weiter. Und vielleicht ist es die Ignoranz der Bürger und der Gedanke, dass sich schon irgendwer, also sie, darum kümmern wird, was die Bediensteten auf den Höfen so stinkig macht. Und wenn sich die Chance bietet, wird eben etwas toxischer Dampf abgelassen, dort hinten am Ende der kapitalistischen Verwertungskette.

Weil das Glück herausgefordert werden muss, entschließen wir uns noch einmal auf den ersten Hof zu fahren, denn wir haben noch mehr Müll, der durch die magischen Kräfte der Werstoffhofelfen verschwinden soll. Und diesmal begrüßt uns tatsächlich der Beamte mit dem branseatischen Dialekt. Ich soll sprechen, sagt mein Begleiter und ich antworte auf die Frage, was wir dabei haben: "Wir haben eine Schubkarre voller alter Schrauben und Eisen hinten drauf." und er ist begeistert und ich soll ihm das zeigen. Und dann werden wir, ohne weitere Ermahnungen gebeten, das ganze Ding einfach in den kleinen Container zu werfen. Wir heben die Schubkarre über den Rand und unter metallischem Rauschen entleert sich der Inhalt. Wir verlassen im Schritttempo den Hof, die Sonne geht unter und im Rückspiegel sehe ich, wie sich der Branseate freudig über den Rand des Containers beugt und ein paar alte Schraubenzieher, die ich unter die Schrauben und Nägel gemischt habe, herausfischt.

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