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Unter einer tanzenden Fahne/plattgewalzt

 


Wir sind an einem Trabant vorbeigefahren, einem roten (oder einem Roten?). Er steckte zur Hälfte in einem alten Bauernhaus und warb für eine Fahrschule. Ob die Fahrprüfung auch in einem Trabbi abgenommen wird? Ich bezweifle es. In Halle steckte auch ein Trabant über einer Toreinfahrt eines Hauses. Dort war er silbern und die Kombi bzw. Tourist-Variante. Beide Farben waren nicht serienmäßig sondern später überlackiert. Es war auch keine Fahrschule sondern ein Punk-Schuppen, in dem ich später sogar zweimal Konzerte gab und auch sehr gern wieder einmal spielen würde. 

Damals hatte sich mein Schulfreund T in dem zum Club gehörenden A&V einen Game-Boy gekauft - in einer Zeit, wo Gebrauchtkäufe noch gar nicht üblich waren, fast verpönt oder zumindest mit Argwohn betrachtet wurden. Es war ein paar Jahre nach Öffnung der Konsumgrenze und Produkte sollten neu sein. Das schwingt in der Erinnerung mit, sicherlich, weil ich auch einen Gameboy wollte und meinen Eltern davon erzählte, dass T seinen gebraucht und damit günstiger gekauft hat und meine Eltern dann sicher sagten, dass gebrauchte Dinge auch kaputt sein könnten und dann sei das Geld weg. Aber ein neuer Gameboy war zu teuer. 

Irgendwann bekam ich dann doch einen, einen gelben (oder einen Gelben?) als ich ein paar Sommertage im Krankenhaus verbrachte, weil meine Rachenmandeln meinen Körper verlassen sollten. Später habe ich die Plastikkiste, in der der Gameboy Color geliefert wurde, dafür benutzt, um eine Art Zeitkapsel zu bauen, in der ich Dinge, die ich für bedeutsam hielt für die Nachwelt aufheben wollte. Wollte die Kiste im Hinterhof vergraben, aber hab das dann vergessen, weil andere Dinge auftauchten.

Vor einiger Zeit fand mein Vater diese Kiste, als ich ihm beim Umbau an einem Fahrzeug im Keller geholfen habe und öffnete sie. Es waren Fotos darin: T und ich, wie wir auf Hiddensee am Strand unter blauem Himmel ein dunkles Schlauchboot oder eine Luftmatratze schleppten, der alte Saab meiner Eltern in Schweden mit einem Kanu auf das Dach gespannt. Auf dem Strandfoto fiel mir auf, dass ich ein US-Army Field-Hemd in Woodland-Camouflage trug und dazu einen Hut im selben Muster, aber nicht original. So ein Hemd habe ich jetzt wieder. So einen Hut würde ich heute nicht mehr aufsetzen. 

Und auf dem anderen Bild das Kanu. Es war nur mit Stricken festgemacht, deren Enden höchstwahrscheinlich mit den Haken für das Abschleppseil verbunden waren. Ich konnte nicht mal Schaumstoff auf dem Dach erkennen. Früher ging sowas. Da gibt es auch noch eine andere Erinnerung an ein anderes Auto mit einem anderen Kanu auf dem Dach, aber der selben Familie drin, wo das Kanu beim Abbiegen auf der Bundesstraße plötzlich verrutscht. Sicherer Transport geht anders.

Ich hab von alten Army-Hemden gesprochen, der korrekte Begriff lautet Feldbluse. Seit ein paar Jahren trage ich fast immer Hemden - aber vor 3 Tagen ließ ich das Hemd mal weg, also trug nur Pullover über T-Shirt und spürte eine Veränderung. Das Hemd gibt Festigkeit, am Hals Schutz vor der Witterung. Ohne ist alles etwas wackeliger, windiger, aber freier. Freiheit zum Preis der Formlosigkeit. Vielleicht probiere ich das jetzt mal eine Weile. 

Heute trug ich auch ein paar alte Schuhe, die ich jahrelang täglich an den Füßen hatte, bis ich Lust auf ein neues Paar bekam, weil ich eine Arbeit im Dreck verrichten musste. Diese Alten waren überall mit dabei. Auf Bühnen, in der Hitze, im Schnee, als ich in Bars am Tresen saß, als ich in Bars auf dem Boden lag und rückwärts durch die Zeit kroch. Ich glaube aus Respekt dafür, dass sie überall mit dabei waren, habe ich sie bisher auch behalten, getraute mich nicht sie zu entsorgen. Wieso auch? Sie sind bis auf ein kleines Loch im Leder auch noch okay. 

Es geht mir so mit vielen Dingen. Der Respekt gegenüber den Dingen, als wären sie etwas lebendiges. Die Hemmung, sie, die einst für Geld erworben und am Anfang vorsichtig behandelt, dann langsam in den Alltag integriert, irgendwann zum Teil des Lebens geworden, in eine Mülltonne zu entsorgen. Dieser Akt fällt mir sehr schwer und der Gang zur Tonne ist schambehaftet. Das Mindeste ist, dass ich mich von den Dingen verabschiede. 

Und wie ist es mit den Trabbis in den Hauswänden? Wurden die einst nicht auch einmal für viel Geld, nach vielen Jahren Warteliste erworben und pfleglich behandelt? Die Kinder durften auf den Rücksitzen nur auf einer Decke sitzen, damit die Sitze nicht schmutzig wurden. Wenn ich den Leuten damals erzählt hätte, dass ihr Auto einige Zeit nach dem Jahr 2000 zuerst, und davon ist auszugehen, in der Mitte zersägt und dann als Werbung für eine Fahrschule zur Hälfte in die Wand einer Scheune eingemauert werden würde -  sie hätten mich für respektlos gegenüber den Dingen erklärt. Mindestens. 

Wieder ein Grund, warum Zeitreisen niemals erlaubt sein sollten.

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