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Pandemonia 45 - Nach 12 Jahren war's vorbei

Ich fuhr mit dem Fahrrad die Holbeinstraße in Leipzig entlang. Die Straße war voller Autos, die fast ineinander verkeilt vorwärts kommen wollten. Ich schlängelte mich auf meinem Gefährt durch jede kleinste Lücke, manchmal mit eingezogenen Beinen durch die Fahrzeuge und fühlte mich frei und ein wenig überlegen. Als ich auf Höhe der Alfred-Frank-Straße war, sah ich eine Baustelle vor mir. Die Straße war nur noch ein sehr schmaler Streifen Schotter. Rechts davon Baufahrzeuge mittlerer Größe und links davon ein sehr tiefer Schacht in das Erdreich, nicht dunkel und bedrohlich, sondern von Menschenhand erschaffen mit dem Ziel Rohre oder Leitungen, die sehr tief in der Erde zu liegen schienen zu warten, zu verbessern oder ähnliches. Der Schacht erstreckte sich über mindestens 50 Meter in über die ganze Breite der Straße und war ca. 20 Meter tief und von grauer Kalksteinfärbung. 

Ich fuhr auf dem schmalen Streifen aus Schotter in hoher Geschwindigkeit und merkte, dass ich zu rutschen begann. Beim Versuch die Balance zu halten, stürzte ich in den Graben. Beim Sturz schien der Boden nach links zu kippen, was aus dem Sturz ein Steigen machte. Während ich fiel, erhob ich mich in die Luft und landete mit meinem Fahrrad auf dem Dach eines der Häuser der Straße. Es war ein Spitzdach mit roten Ziegeln. Und ich klammerte mich fest, weil ich nicht sicher war, ob und wie ich mich hier fortbewegen solle. 

Zwei Dächer entfernt sah ich ein junges Mädchen aus einem Dachfenster schauen und bat es darum, die Polizei oder Feuerwehr zu verständigen, dass ich hier oben fest säße, aber auch versuchen werde durch ein Fenster in eine Wohnung oder einen Dachboden zu gelangen. Das Mädchen reagierte verstört und zog sich aus der Fensterluke zurück. 

Ich schaute mich um und realsierte, dass alle geöffneten Dachfenster in meinem Blickfeld zu Häusern gehörten, die nicht mit dem verbunden waren, auf dem ich mehr lag als stand. Doch in ca. 10 Metern Entfernung sah ich eine Dachluke und begann sehr langsam darauf zuzukriechen. Mein Fahrrad ließ ich auf dem Dach zurück. hoffend, dass es nicht hinabstürzen würde und dabei jemanden verletzen könnte. Ich war sehr angespannt, obwohl das Dach nicht besonders spitz war und mir genug halt geben müsste. Es war auch trocken und Regen nicht in Sicht. 

Als ich bei der Luke ankam sah ich hinein und stellte fest, dass sie auf einen dunklen verstaubten Dachboden führte. Über eine Leiter die an einen Schornsteinschacht gelehnt war würde ich festen Boden unter den Füßen erreichen. Also griff ich nach dem Rahmen der Fensterluke, zog mich an sie heran und achtete peinlich darauf, nicht abzurutschen. Ich schaffte es meinen Körper ohne loszulassen in die Luke zu drehen und kletterte die rötliche breite Holzleiter nach unten. Dabei verfingen sich sehr viele sehr dicke Spinnweben und gelb-grauer Staub in meinen Haaren, auf meinen Armen und meiner Kleidung. Ich sagte mir, dass das jetzt nicht so schlimm sei. 

Als ich dann auf dem Dachboden stand, suchte ich nach der Tür ins Treppenhaus. Der Dachboden war sehr hoch und teilweise leer, an manchen Stellen sah ich aber auch Dinge zu Haufen aufgetürmt, teilweise unter Planen und Tüchern. Es gab eine Tür an einer verrusten Wand, die aber verschlossen war. Hinter einem weiteren Schornsteinschacht, entdeckte ich aber, dass der Raum sich noch über weitere ca. 100qm erstreckte. Am anderen Ende war eine weitere Tür, eine alte Brandschutztür um genauer zu sein, an deren Klinke ein Schlüssel mit einem grünen Anhänger hing. 

Auf meinem Weg dorthin entdeckte ich eine Ansammlung von Musikinstrumenten und Equipment. Unter anderem ein Fender Rhodes Piano, allerdings von der Firma Yamaha hergstellt, neben einer Kopie eines Roland Space Echos. Auch zu sehen waren mehrere Vermona Tasteninstrumente, die mit orginal Staubschutzhauben auf dem Dachboden ruhten. Ich betrachte diese Geräte, während ich den Haufen, zu dem sie aufgetürmt waren, umrundete. 

Plötzlich realisierte ich, dass zwei Menschen, von denen mir einer bekannt vorkam (evtl. ein Soul DJ?). Der eine schien dem anderen etwas von dem Haufen verkaufen zu wollen. Ich grüßte sie und sie erwiederten völlig normal, worüber ich mich wunderte, da sie mir hier oben auf ihrem abgeschlossenen Dachboden begeneten und ich nicht zur Hausgemeinschaft gehörte.

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