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Pandemonia 3 - Letzte Risse/Atem des Asphalts

Gestern habe ich euch von einem Traum erzählt, dass wird sicher öfters vorkommen. Heute Nacht habe ich geträumt, dass ich den Blogeintrag von heute schreibe. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich mich, sollte der Tagebuchcharakter erhöht werden, versuche an Ernst Jüngers Technik zu orientieren, der am Tag der Niederschrift die Ereignisse des Vortags thematisiert. Wie sonst sollte ich auch am Anfang eines Tages von dem berichten was noch geschieht?

Und unter uns: Am Abend bin ich zur Zeit so entnervt, dass ich keinen Finger auf die Tasten bekommen. Das wäre dann auch die sanfte Überleitung: Ich habe richtig schlecht geschlafen. Genauer gesagt, spät ein und und früh auf. Das lag sicherlich daran, dass ich gestern einen harten Kopfschmerz hatte, der daher rührte, dass ich vorgestern noch mal eine finale Kneipenrunde machte. Neben dem Kopfschmerz kam dann natürlich eine angenehme Paranoia hinzu, mich evtl. infiziert zu haben. Denn auch ich baller mich mit Nachrichten voll und insgesamt wird daraus ein schöner Wachmacher-Cocktail auf Panik und Entzugsbasis. 

Irgendwann habe ich es dann doch in den Schlaf geschafft, bis ich ca. 4.30Uhr von einem einzelnen durchs Mark gehenden Schrei aus einer Nachbarwohnung geweckt wurde. Ich habe überlegt, ob es ein Hilfeschrei, ein Schrei aus einem Traum oder ein Schrei der Wut war und entschloss mich, dass es letzters gewesen sein muss. Denn: nach kurzer Zeit öffnete und schloss sich die Wohnungstür und dies nicht zum ersten Mal um diese Uhrzeit. Daraus konstruierte ich mir, dass der Nachbar bei DHL, Amazon oder so einer Firma arbeitet und berechtigt seinen Frustrationsschrei abgibt, da er jetzt auf die Schicht müsse. 

Ich lag dann mehrere Stunden wach und mein Kopf ratterte durch die Dinge, dich ich am nächsten Tag erledigen wollte. Hinzu kam eine mir wohlbekannte Enge um das Herz herum. Ich kannte sie aus eine Zeit großen persönlichen Leides in der sie mich mehrere Wochen und Monate begleitete. Und da sie mir bekannt war, konnte ich diese Enge zwar nicht deaktivieren, aber doch mindestens einordnen und wusste: das ist der Stress, das ist die Panik, dass ist eine Reaktion meines Körpers im Angesicht des Säbelzahntigers. 

Dann setzte ich mir in Ermangelung einer Schlafmaske eine Mütze auf, zog sie mir bis über die Augen aber lies die Nase frei, schlatete mein Mobilfunktelefon aus und fand noch ein wenig Ruhe. 

Ich schreibe das, in der Hoffnung, das diese Erkenntnisse, mögen sie auch noch so banal sein, vielleicht einigen von euch helfen. Und sei es nur, weil ihr sagen könnt: "Es geht nicht nur mir so." 

Letztlich ist dieser Blog ja auch in einer Art Doppelfunktion angelegt. Einerseits schreibe ich ihn tatsächlich nur für mich, um Gedanken los zu werden und ein kleines Strukturbausteinchen zu haben. Gerade am Telefon im Gespräch mit P sagte ich: Wenn der Staat keine Struktur mehr vorgeben kann, dann schafft der Deutsche sie sich selbst. Und das mit weniger Ironie als mir lieb ist. Soweit erstmal an dieser Stelle. Andererseits reckt ein kleiner sozialer Adler in mir seine Flaum-Flügel und ich denke mir, es kann nicht schaden den zur Zeit aufzupeppeln. Dann nimmt er mich vielleicht mal auf seinen Rücken und wir fliegen davon. 

An dieser Stelle erstmal Schlussch widme mich heute der Unterstützung einer Kultureinrichtung meines Vertrauens und morgen bin ich dann Gast in einem Konzertlivestream des Ilses Erika.

Bleibt cool. Aber erklältet euch nicht.

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