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Pandemonia 14 - Alt im Sessel

Diese Nacht auch wieder Fortführungen dessen, was ich tagsüber schon tat. Versuchsweise mit Dokumentation über den Vietnam-Krieg in die Traumwelt herübergefahren. Dann wieder erwacht durch pulsierender rhytmischer Musik von der ich erst dachte, sie käme direkt aus meinem Herz, dessen Schlag sich gerade beschleunigt und verlangsamt. 

Dann realisierte ich, dass die Musik aus einem benachbarten Atelier durch die Wand erklingt. Nach einer Weile des Herumwälzens und hadern mit der eigenen Coolness, entschloss ich mich dann doch aufzustehen und um Abschaltung der Musik zu bitten. In dieser Situation kam mir die Brüchigkeit meines Sprechorgans zu Pass. Denn ich röchelte mein Anliegen unter einem wirren Haarschopf hervor und ihm wurde statt gegeben. Dafür bedanke ich mich. 

Vielleicht könnt ihr euch schon denken, warum ich mich eine Weile herumgewälzt habe, bevor ich mich erhob. Es erinnert mich an das Verfahren, dass ich gegenüber schnarchenden Schläfern anwende. Aus Respekt vor dem Schlaf traue ich mich seit Kindertagen den Schnarchenden oder die Schnarchende nicht zu wecken. Bei der Musikabstellung war es dann aber weniger Respekt als die Angst vor dem Alt-Sein. E

ine ähnliche Erfahrung hatte ich einen Abend davor, als ich nach einer Live-Strömung der Sende-Crew dabei zuschaute, wie sie noch etwas Musik auflegte, die mir neu und fremd erschien, abstrakt und auch ein bisschen platt im Gegensatz zu dem, was ich höre (und mache?). Ich saß während dessen in einem Sessel mit einem Whiskey in der Hand. Als einziger. Und da fühlte mich plötzlich alt, obwohl ich nicht der älteste im Raum war. 

Dieses Gefühl hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben. Und in dieser Situation war es auch irgendwie okay. Ich saß im Sessel und schaute friedlich und interessiert zu, wie die Welt sich weiter dreht. 

Später kam natürlich der völkische Zweifel, dass ich meine Chance vertan hab und nun nur noch ein passiver Sack sein werde. Das führte dann zum Eintrag von gestern und zum Zögern, bevor ich mich aus meiner Bettstadt erhob und um Stille bat. 

Letztlich habe ich dann doch noch eine ganze Weile gebraucht, um in den Schlaf zu rollen. Aber einfacher als in Vietnam war es allemal.

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