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Pandemonia 76 - Rezeption

Ich trage heute zum ersten Mal seit langer Zeit helle Kleidung. Ein bunt gemustertes Kurzarmhemd mit Paisleyformen und anderem, leicht afrikansiche Anmuntung. Es war eine großzügige Schenkung. Als Beinkleid sandfarbene Working Pants und dazu die schwarzen Halbschuhe, die ich fast immer trage. Es fühlt sich anders an, einerseits etwas lockerer als üblich. Doch letztlich komme ich mir durch meine fettige halblange Haartracht vor, wie der Rezeptionist eines Motels, der freundlich darauf hinweise, dass der Pool gerade nicht benutzt werden kann. 

Das Motel steht an einem staubigen Abschnitt einer Bundesstraße im nördlichen Sachsen-Anhalt an der Grenze zu Brandenburg. Wie hat es mich hier her verschlagen? Die meiste Zeit verbringe ich mit Lesen, während der Fernseher stumm neben her läuft. Eingestellt auf Tele 5 oder Phoenix. Im hinteren Bereich der Anlage habe ich einen Bungalow in dem ich lebe und Demos aufnehme für mein neues Album. Zwei Zimmer und eine Nasszelle mit einer alte Badewanne. Die Katze, sie heißt Morla, gibt's auch noch. Ist schon etwas älter. Die muss ich auch gleich füttern. 

Wenn ich weiß, dass der Besitzer in den nächsten 3 Wochen nicht vorbeikommt, meist kündigt er sich eine Woche vorher an, nehm ich die Gitarre mit vor an die Rezeption und spiele vor mich hin. Seit 3 Jahren gibt es hier in der Gegend keinen richtigen Winter mehr, weshalb ich dazu übergegangen bin nur noch die Eingangs erwähnte helle Kleidung zu tragen. Wenn ich den Müll rausbringe hinterlässt das natürlich Spuren auf der hellen Hose, aber ich habe 2 davon, die ich günstig erstanden habe und wöchentlich wechsle. 

 Abgesehen davon sieht sowieso kaum jemand, dass die Hose schmutzig ist, weil ich ja fast immer hinter dem Tresen sitze. Auf dem grünen Drehstuhl, dessen Stoff an der Kante schon eingerissen ist. Aber nicht wegen mir. Ich habe den schon so übernommen. Da quillt der gelbe Polsterstoff raus und wird langsam immer dunkler. Das liegt an mir, das gebe ich zu. Ich sitze eben viel hier rum. Jetzt kocht das Wasser für die Nudeln. Die werde ich jetzt in den Topf geben. Später in der Nacht werden bestimmt noch Gäste kommen. Fernfahrer, die Zuckerrüben nach Süden bringen, vielleicht auch ein Päarchen, dass sich hier im Geheimen trifft. Denen geb ich immer Zimmer 5, da quietscht das Bett nicht so. 

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