Ich gehe an einem Hochhaus vorbei, dass ganz nah an einem breiten Fluss steht. Ich schaue nach oben und zähle 14 Stockwerke, 14 Balkons bis ganz oben. Der unterste ist zugewuchert mit Rankpflanzen und ich frage mich, wer sich dazu entscheidet in einem Hochhaus ganz unten zu wohnen. Wahrscheinlich ist es wie immer der Preis, der einen Menschen dazu bewegt. Die Vorstellung in einer Wohnung zu hausen, über der dreizehn weitere Etagen samt Möbiliar und Menschen schweben, nur gesichert durch in Beton gelassene Stahlträger, ruft in mir Unruhe hervor. Ich habe mal in einer vierzehnten Etage gewohnt. Da empfand ich aber auch Unruhe durch das Bewusstsein, dass ich praktisch 30 Meter über dem Erdboden in der Luft auf dem Klo sitze oder über den Linoleumfussboden schleiche, damit die Nachbarn sich nicht aufregen.
Ich entschließe mich, nach rechts weiter Richtung Fluß zu gehen, er ist ungefähr 300 Meter breit und wird auch für Binnneschifffahrt genutzt, da fahren Lastenkähne voll mit Abraum. Sie sind flach, ihre Schrauben erzeugen sehr viel Schaum am Heck des Schiffes, weil sie stromaufwärts fahren. Es sieht fast so aus, als würden sie stehen. Die Schiffe, die mit der Strömung fahren haben es leichter. Dann gehe ich eine kreisförmige Treppe hinauf, die mich in sieben Drehungen hinauf auf eine 6-Spurige Autobrücke bringt, die links und rechts einen schmalen Fußweg hat. Mein Ziel ist es, die andere Flussseite zu erreichen, die verlockend sandig und naturbelassen aussieht. Die Brücke ist stark befahren und ich atme die Abgase der Autos ein. Über mir steht eine heiße Sonne, die über die Jahre den mit Teer gemischten Asphalt über den ich gerade gehe, aussehen lässt, als wäre er ein Gewässer, in das jemand erst einen Stein geworfen und dann die Zeit angehalten hat. Die kreisförmigen Wellen stehen ganz still. Über der Brücke sind verschiedene Drähte gespannt mit deren Hilfe Signale von der einen auf die andere Flussseite gesendet werden.
In der Mitte der Brücke halte ich kurz an und schaue auf einen weiteren Lastenkahn, der 20 Meter unter mir stromaufwärts kriecht. Und wieder denke ich, dass ich hier eigentlich in der Luft stehe und weiß auch, dass es sich im Rahmen meiner Möglichkeiten jetzt dort hinunter zu springen. Diesmal tue ich es nicht, vor vielen Jahren sprang ich von allein von einer Brücke in einen Fluss, um mir zu Beweisen, dass ich frei entscheiden kann, was ich tue. Jetzt steuere ich eine weitere gekreiselte Stahlbetontreppe an, die mich auf der anderen Seite des Flusses nach unten führen soll. Bevor ich hinab kreise, sehe ich einen Mann am Rand der Fahrbahn stehen, der starr nach links in Richtung der ankommenden Fahrzeuge schaut. Er scheint zu überlegen, ob er die Fahrbahn überqueren kann, bewegt sich kurzzeitig nach vorn, als ob er die Zwischenräume abschätzen möchte, die die Autos lassen.
Dann bin ich unter der Brücke, bewege mich ins Unterholz und an das sandige Ufer, an dem ein paar ausgespülte Bäume stehen. Dort hocke ich mich hin und beobachte wie die kleinen Wellen ans Land schwingen und niemals verwesenden Plastikmüll umspülen, sehe ein Motorboot auf dem ein Mann offensichtlich eine Mitfahrerin beeindrucken will, denn er sitzt mit ihr am Bug, während das Schiff mit leerem Steuer einfach geradeaus fährt. Bevor das Boot aus meinem Blickwinkel verschwindet, sehe ich noch, wie er mit einer lässigen Geste hinter sich greift, um den Kurs zu korrigieren. So sind Männer, sie tuen alles, um souverän und lässig zu wirken und andere damit zu beeindrucken.
Dann kommen die Wellen, die dieses Boot erzeugt hat bei mir an und erzeugen ein leicht maritimes Gefühl, in Kombination mit dem Rauschen der Autos, die in 20 Metern Höhe vorbeifahren, empfinde ich so etwas wie Entspannung. Also entschließe ich mich aufzustehen, denn ich habe noch einen Termin auf der anderen urbaneren Flußseite von der ich kam. So laufe ich auf einem ausgetretenen Pfad zurück zur Brücke und kreise auf der anderen Seite, also nicht der, auf der ich nach unten kam, wieder nach oben. Dabei sehe ich noch, dass im Schatten der Brücke ein Basketballplatz ist, auf dem ein paar ausgezehrte Kinder Bälle in Körbe werfen, deren Netze von Abgasen eine dunkelgraue Farbe tragen.
Die Treppe ist diesmal stufenlos und bringt mich sanft nach oben. Auf halber Strecke sehe ich eine Krähe, die am Kadaver eines anderen Vogels herum zupft. Als sie mich sieht, packt sie das tote Tier mit dem Schnabel und fliegt davon. Der Kopf bleibt liegen. Die offenen Augen starren nach oben in die Sonne. Oben angekommen, sehe ich über den Strom der Autos hinweg und bemerke den abwägenden Mann, der immer noch an der selben Stelle steht. Seine Bewegungen sind rhythmischer geworden, ein Wiegen nach vorn und zurück, im sanften Rhythmus der in Wellen heran rauschenden Autos, die einen Fluss über dem Fluss bilden. Ich bewege mich über den auf dieser Seite ebenso gewellten Fußweg zurück, die Sonne steht inzwischen tiefer und brennt sich durch meine Sonnenbrille in meine Augen. Am anderen Ufer angekommen, kehre ich im Schatten von Hochhäusern und Hecken zurück in das Innere der Stadt.
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