Ich finde ein Tagpfauenauge in einem fensterlosen Bad, nachdem ich mit einer rituellen Dusche versucht habe den Restalkohol aus meinem Körper zu spülen. Immer das gleiche. Ich suchte in diesem Bad in der Vergangenheit auch schon Schutz, gerade weil es keine Fenster hat und die vollkommene Dunkelheit mir dabei half, mich selbst aufzulösen in diesem mich umschließenden Nichts. Noch etwas weiter zurück, zog ich mal nach einem gut gelaufenen Konzert an einem Jibit in einem Mercedes-Wohnmobil, wo dann tatsächlich South Of Heaven aus dem Kassettendeck lief. Da war ich irgendwie glücklich, wurde aber doch zügig gebeten zu gehen, lief dann durch einen beginnenden grauen Tag durch den Regen in Halle, spürte die Wirkung der "Droge" und verkroch mich in einen Keller, bevor ich, zurück in der mir zugewiesenen Unterkunft, die lichtlose Besenkammer aufsuchte.
Daran erinnere ich mich gerade, der Körper noch nass und der Raum von leichtem Dampf erfüllt. Ich selbst mehr oder weniger ein Nichts, aber doch noch genug, um das Unwohlsein zu spüren. Da sehe ich das Tagpfauenauge kurz unter der Raumdecke mit zusammengefalteten Flügeln sitzen. Ich steige auf die Toilette und fasse es an den Flügelspitzen, kurz zappelt es mit den Beinen, dann zieht es alle Gliedmaßen an sich und sieht aus wie ein kleines Segelschiff, eine Jolle. Ich trage es aus dem Bad, in die Küche, die in einem stetigen Kreislauf voller Maden und dann Fliegen ist. Ich gehe zu dem Fenster, dass immer offen steht. Wenn es regnet, steht die Küche voller Pfützen. Ich halte das Tagpfauenauge in den Himmel, lasse es los und es flattert davon.
Dann entwickelt sich aus diesem trüben Tag einer, wie ich es nicht erwartet habe und an dessen Ende ein kurzer Moment von Friedlichkeit in mir herrscht. Ich hole eine Stehlampe und es fällt ein heftiger Regen, den ich im Auto sitzend hinnehme. Das Wasser rauscht laut und gleichförmig über die Scheibe und lässt die Welt dahinter verschwommen, wie in die Darstellung des Übergangs von Realität zu Traum in alten Filmen aussehen. Eine alte Frau schaut aus dem Haus gegenüber aus dem Fenster durch eine Gardine, ich kenne sie, winke ihr, sie streckt mir die Zunge raus. Ich hebe die Hände zu einer fragenden Geste.
Nach fünf Minuten, als sich der Regen etwas gelegt hat steige ich aus. Schnell laufe ich mit dem Lampenschirm über die Straße bevor dieser durch die kleinen Tropfen, die immer noch vom Himmel fallen, ganz gesprenkelt ist. Immer wenn es regnet und ich draußen unterwegs bin, glaube ich nach einer Weile, dass es weniger wird. Das liegt aber nur daran, dass das Wasser mich langsam durchnässt und nicht der Regen weniger sondern ich im Verhältnis zu ihm nasser werden. Eine Annäherung. In der Fassung der Lampe haben sich sehr viele verkohlte Fliegenkadaver gesammelt. Ich wische sie heraus. Ich schraube den Schirm an die Stange und den Marmorfuß und eine Glühbirne in die Fassung, schalte sie kurz ein, sie funktioniert. Dann wieder aus.
Ich lege mich auf eine Couch und lese das Buch "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" von Martina Hefter. Das Buch erzählt von Wahrheit, Vergänglichkeit, Alter, Macht und Ohnmacht. Kühl aber gleichzeitig ergreifend, eine Hauptfigur, die stark ist, weil sie ihre Schwächen nicht verbirgt. Mich beruhigt es, gibt mir für einen Moment die Möglichkeit zurück mich als Mensch zu fühlen, irgendetwas zu fühlen, neben der Leere, die mich zur Zeit beherrscht. Aber auch diese Leere finde ich hier auf der Couch beim Lesen plötzlich hinnehmbar. Was sich immer ein bisschen wie aufgeben anfühlt.
Ich lege das Buch zur Seite und gehe noch einmal hinaus auf die Straße, gebe Geld in den Geldautomaten hinein und hole mir ein reduziertes Rosinenbrot aus der Kaufhalle. Die Wege trocknen nach dem heftigen Regen schon wieder und sind überzogen von gewundenen Flussarmen aus Laub und Schlamm. An anderen Stellen, so höre ich, hat der Regen tote Ratten aus dem Untergrund nach oben gespült. Ich frage mich, ob sie schon vorher tot waren oder ertrunken sind. Ich frage mich, warum Zufriedenheit nie bleibt. Und liege wieder auf der Couch und lese das Buch zu Ende. Dann warte ich, bis es dunkel genug ist, um eine Rechtfertigung zu haben, die neue Lampe anzuschalten und dämmere in ihrem Schein ein.
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