Ich rolle die Straße hinunter, Reste einer Nacht in meinen Blutbahnen lassen meine Bewegung auf vier Rädern so unwirklich erscheinen, dass ich glaube zu träumen. Erfüllt von leichter Panik kneife ich in meinen Unterarm, so wie ich es als Kind phasenweise tat, als ich mir auch damals und ohne Restnacht im Organismus, phasenweise nicht sicher war, ob ich in der Wirklichkeit bin. Es ist eine verschobene Wahrnehmung. Es ist die Erkenntnis, dass sich das, was um mich herum geschieht, meiner Kontrolle entzieht, was die Unruhe auslöst. Ich rolle die Straße entlang, da laufen Menschen links und rechts und Ampeln schalten von grün auf gelb und rot und wieder anders herum und die Menschen verlassen sich darauf, dass sich alle an diese Farben halten. Solche Grundregeln, an die man sich hält, ohne weiter darüber nachzudenken, werden mir plötzlich bewusst und fordern mich. Wenn die Automatismen unterbrochen werden, wird das Ausmaß des Wahnsinns im Zusammenleben für einen kurzen Moment deutlich. Aber man schüttelt sich und versucht zurück zu gelangen, in das, was als Normalität bezeichnet wird. Ob es das war, was P meinte, als er davon sprach, dass mich das Fahren so menschlich erscheinen lässt?
Menschlich erschien ich mir selbst am Vortag, als ich, während ich vor anderen Menschen etwas sang, auf ein Glas Wasser schaute, das neben mir im Gras stand. Ameisen liefen am äußeren Rand hinauf und innen wieder hinab, um die Flüssigkeit zu inspizieren. Da es nur Wasser war, ließen sie schnell davon ab und ich trank davon ohne eine Ameise zu verschlucken. Menschlich fühlt man sich doch immer erst im Vergleich zu anderen Wesen, denke ich. Wenn einem bewusst wird, dass man zu groß ist, um an einem Wasserglas hinaufzuklettern oder zu kleine Lungen hat, um an den Grund eines Sees zu tauchen, der sich unter einem in die Tiefe streckt. Man probiert es, atmet tief ein und taucht hinab, hört das Knacken in den Ohren, sieht verschwommenes Grün und Blau. Dann wird die Luft knapp und man strampelt schnell zur Oberfläche, durchbricht die Grenze, da wo das Wasser transparent ist und atmet. Links hinter den Bäumen liegt das Kraftwerk, dass auf Sparflamme läuft, da Sommer ist, rechts rauscht die Autobahn, die blauen Schilder mit der weißen Schrift flimmern in der heißen Luft.
Und schon wieder weiß ich nicht, ob ich träume oder wirklich hier schwimme und die Unruhe kommt über mich, denn in den Träumen lasse ich mich dann oft nach unten sinken ohne zu ertrinken. Und ich merke, dass ich allein es in diesem Moment entscheiden kann, kontrolliert nach unten zu sinken und die Kontrolle über mich zu verlieren. Das ist Leben, denke ich. Und dann fürchte ich mich wieder, menschlich zu sein und weiß, warum ich nur ein oder zwei mal pro Sommer schwimmen gehe.
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