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# 401 Hundebier/Katzenwein/Sommer 24

Ich bin einfach losgefahren - ein bisschen ziellos, die Schwerkraft wieder recht aktiv zur Zeit. Zwischendurch habe ich überlegt, alles sein zu lassen, aber es soll nicht um mich gehen, zumindest nicht auf diese Weise. 

Ich finde kurzen Frieden, leider nur persönlichen und nicht weltumspannenden, im Schatten unter einem Baum. Ich sitze dort mit einem Milchshake und einer Apfeltasche, welche für mich der Inbegriff von Fastfood sind, weil sie das erste waren, was ich vor vielen Jahren in einem Mekkes vertilgte. Der Hirnfrost setzt auch erwartbar ein, zieht sich über die Kiefermuskeln seitlich hoch. Ich wärme mit dem Inhalt des frittierten Gebäcks kauend dagegen und höre Nachrichten. Ich höre so viele Nachrichten und die Inhalte machen mich fertig und beruhigen mich gleichzeitig, was mich dann wieder mit Scham erfüllt. Und zwischen diesen Widersprüchen lebe ich. Zufrieden für mich, während die News des Schreckens (Welt) und Idiotie (Germany) aus dem Radio schallen. 

Dann rolle ich weiter, will raus aus der Stadt, über Straßen, die vorbeiführen an plattgemachter Maschinenindustrie. Die haben das Werk hier so schnell abgerissen, den schwerölkontaminierten Boden abgetragen und den Schotter darüber verdichtet, dass sich selbst die ehemaligen Angestellten, nicht mehr sicher sind, ob sie hier mal gearbeitet haben und warum sie überhaupt demonstriert haben. Ich hatte mich damals gefreut, weil sie durch die Straßen liefen und TNT von AC/DC dazu erschallte und ich glaube sogar Iron Man von Sabbath. Hat trotzdem nichts genützt. 

Die Wege winden sich weiter durch Felder und kleine Waldstücke, da halte ich an zum Pinkeln, überall Nacktschnecken auf den Gräsern. Wo sind die Mücken? Ich schaffe es schließlich an eine klaren Kanal, der recht zügig fließt. Dort setze ich mich auf einen Wegmarkerstein und schaue auf die flache Sonne, kriege wieder kurz einen Frieden zu fassen, ganz kurz. Da sind zwei Jungs auf Fahrradurlaub, schieben ihre Fahrzeuge zu einer kleinen Baumgruppe, um dort zu campieren. Ihre Helme baumeln an den Lenkern, die haben sie bestimmt seit dem zweiten Tag nicht mehr auf, als sie außerhalb des Sichtbereichs ihrer Eltern waren. Ich stelle mir vor, dass einer von ihnen in den nächsten Tagen bei einer spaßigen Aktion ungünstig stürzt und ins Koma fällt. 

Und damit falle ich zurück in die Unruhe, in den Drang, dass ich hier nicht bleiben kann. Vielleicht muss ich auch nur nochmal aufs Klo. Mit der untergehenden Sonne im Rücken kehre ich langsam zurück in die Stadt, die Wege werden breiter, es tauchen wieder Menschen auf, viele Menschen. In den Außenbezirken zähle ich vier weinende Frauen, die von ratlos schauenden Männern im Arm gehalten werden. Versuche von Trost. Sie sitzen an Haltestellen oder gehen auf dem Fußweg entlang in ihren halblangen Hosen und Shirts in fröhlichen Farben mit motivierenden Sprüchen darauf aus günstigen Textil-Kaufhäusern. Die scheinen aber auch nicht zu helfen.

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