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#408 Verschwommene Kontore/Verdammnis

Durch das Fenster fällt Licht. Es ist das Licht aller Laternen der Stadt, dass sich an der Wolkendecke reflektiert. Es ist ein schwaches, leicht oranges glimmendes Licht, dass man auch sehen kann, wenn man sich Nachts über eine der Zubringerstraßen dieser Stadt nähert. Es hängt wie eine Glocke über den Häusern. Und in einem dieser Häuser liege ich unter dem Dach auf meinem Bett und starre den Schrank an, der an der Stirnseite meines Zimmer steht. Ich wende den Blick nicht ab und sehe, dass sich eine der Türen ganz langsam öffnet. An der oberen Kante zeichnet sich ein Schatten ab, schwarz, ungefähr so groß wie eine Hand und ohne dass ich Augen oder einen Mund erkennen kann, weiß ich, dass dies der Kopf sein muss, von diesem Etwas, dass mich beobachtet. Denn ja, ich fühle mich beobachtet, betrachtet. Das Wesen verharrt genauso wie ich für eine knappe Minute bevor es sich wieder ganz langsam hinter die Schranktür zurück zieht und diese dann auch schließt. Ich blinzele und stehe auf. Ich weiß nicht, ob das gerade wirklich geschehen ist. Ich gehe zum Schrank und drücke ein wenig gegen die Tür, die einen Spalt offen stand. Schon als Kind wurde ich manchmal halb verrückt vor Angst wurde, wenn ich in der Nacht auf die nicht ganz geschlossene Schiebetür einer meiner Schränke schaute, auf diesen Spalt hinter dem es noch dunkler war, als im Rest des Zimmers, hinter dem sich eine andere Welt verbarg aus der Wesen ihre dünnen langen Finger heraus strecken und mich betasten würden, wenn ich schlief. Aus diesen Erfahrungen heraus, habe ich mich vor einer Weile entschieden einen Vorhang vor den Schrank in meinem jetzigen Zimmer zu hängen. Ich habe mir Ösen geholt und sie in die Deckenbalken gedreht, habe Angelsehne daran verknotet und an einem hellen dünnen Leinenstoff kleine Klammern mit Haken angebracht, die ich dann an die Sehne hing. Und hinter diesem Vorhang verschwand der Schrank und mit ihm die Vorstellungen der Schattenwesen, die mich betrachten, wenn ich schlafe. Nun liege ich wieder im Bett und das Licht der orangenen Reflektorglocke fällt auf den Stoff. Ich sehe wie er sich leicht bewegt und merke, dass das noch schlimmer ist als vorher. Denn gerade weil der Schrank jetzt hinter dem Vorhang verschwunden ist, wird das, was sich dahinter abspielt noch bedrohlicher, unberechenbarer. Wesen die sich dahinter sammeln und dann plötzlich wie ein schwarzer Nebel unter dem Vorhang hervorquellen und mich einhüllen. Ich stehe auf und schiebe den Vorhang langsam zur Seite. Die Türen des Schranks sind verschlossen, ich drücke noch einmal fest dagegen. Als ich wieder auf meinem Bett liege, knarrt etwas im Schrank. Ich schließe die Augen. Ganz fest.

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