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Lyrikküken/Rotlichtrampe

"Zieh die Schuhe drin an und dann rennst du ganz schnell raus" - das wäre eine lustige Methode, um den Begegnungen und Gesprächen auf dem  fremden Hausflur zu entkommen. Aber darf ich als erwachsener Mensch so kindisches Verhalten an den Tag legen, es mir zurecht legen als sei es ein Spiel? Da stellt sich mir sofort die frage, warum überhaupt gespielt wird.

 

Als Kinder spielen wir Dinge nach, um uns auszuprobieren, die Dinge zu erlernen - ich war viel mit Lego beschäftigt und weniger draußen als andere, erschuf Welten aus Bausteinen über die ich die Kontrolle zu haben glaubte und war auch bei Spielen mit anderen (Filme nachspielen, Flugzeug spielen, Krieg spielen) immer recht bedacht darauf, es so real und damit in sich geschlossen wie möglich zu halten. Denke ich heute darüber nach, glaube ich, dass da auch ein ordentlicher Anteil Weltflucht mit drin steckt. 

Der Anteil ist meiner Meinung nach auch größer als der des sozialen Lerneffekts. Diesen Effekt zieht man eher aus Gesellschaftsspielen, wo zwischen echten Menschen interagiert wird, inklusive allen Streitereien und dem Auftauchen auch gemeiner Charakterzüge der einzelnen Spielerinnen und Spieler. Als Kind war ich kein Freund davon, lebte bevorzugt in eigenen Welten, wollte erschaffen. 

Ein Kind ist legitimiert zu spielen. Aber wie sieht es bei Erwachsenen aus? Wenn eine Person zum Beispiel ferngesteuerte Flugzeuge baut und fliegen lässt, Städte aus Lego baut oder sich mit anderen trifft und Fantasykartenspiele spielt oder Musik macht, sehen wir darin doch meist etwas infantiles, merkwürdiges. Die Person verhält sich nicht ihrem Altern entsprechend, könnte ihre Zeit doch auch sinnvoller nutzen. Gut, das wird dann mit dem Begriff "Hobby" gerechtfertigt, wo ja jeder machen darf, was sie oder er will. Aber trotzdem...hat man je einem Kind sein "Spielen" vorgeworfen? 

Vielleicht in der Zeit der Industrialisierung, als alle mit in die Fabriken mussten oder noch früher - als wir alle auf den Feldern gearbeitet haben. Aber da wurden die Menschen auch nicht so alt und ein Kind war, sofern es die ersten Monate überlebte, schon bald ein wichtiges arbeitendes Mitglied der Familie. 

Nun gut, worauf zielt dieses Gedankengekreise hinaus? Warum spielen Menschen anderen etwas vor? Zum Beispiel auf Theaterbühnen oder in Musikclubs? Könnten wir nicht sagen, die Zeit wäre besser verwendet, wenn diese Leute ihre Arbeitskraft zum Beispiel im unterbesetzten Gesundheitswesen einsetzen würden? Prinzipiell ja. Aber anderseits wollen die Menschen aus dem Gesundheitswesen auch Musik hören und ins Theater gehen oder mindestens Filme sehen, wo ihnen etwas vorgespielt wird. So lange also die Gesellschaft noch einigermaßen funktioniert, wird es die Spieler geben. Denn sie erfüllen einen Funktion im Rahmen der Stärkung der Arbeitskraft der Bevölkerung durch Ablenkung, Entspannung und andere regenerative Tätigkeiten. 

So so...das klingt ja fast als hätte ich studiert, aber natürlich ist das alles nur ein Gedankenspiel. Ich bin nie vom Legomodus weggekommen, setze Sachen im Kopf zusammen, wieder auseinander und in neuer Form wieder zusammen, schreibe Lieder, spiele diese öffentlich und deklariere dies als meine Arbeit. Eigentlich eine recht gerade Linie vom Kinderzimmer bis hier her in diesen Hausflur. Durch den ich, unangenehm von der Wirklichkeit berührt, schnellen Schrittes gehe, links und rechts die Nachbarn, die in ihrem Gespräch inne halten und mit den Lippen leicht nach innen gepresst lächeln. Eine Etage tiefer tippeich, während ich mich möglichst wenig auf den knarzenden Dielen bewege in meine Notizen:

Eigentlich ist klar, warum Erwachsene lieber Gesellschaftsspiele spielen, als zb. mit Lego oder Polly Pocket: In den Spielen können sie zwanglos sie selbst sein und die Hierarchien des wirklichen gesellschaftlichen Lebens sind für kurze Zeit aufgehoben. Man darf gemein sein, lustig und vielleicht sogar kann man mal gewinnen. Bis das Spiel vorbei ist.

TV

Kommentare

  1. Danke für die guten und irgendwie sehr wichtigen Gedanken - Stichwort: Rechtfertigung (auch finanzieller Art), Künstler*in sein zu - dürfen? Oder zu müssen? Während andere im Aldi an der Kasse sitzen oder eben auf der Intesivstation Leute versorgen... immer wieder ein Thema. In dem Zusammenhang fand ich es hier schön, dass der Begriff "spielen" ins Spiel gebracht wird.
    Was die Wirkung dieses Spielens auf andere betrifft, also quasi die Funktion von Kunst, wie zB Entspannung und Regeneration bei denen, die zusehen/zuhören/lesen.... In letzter Zeit ist mir mehr und mehr eine Funktion in den Sinn gekommen, die ich in der Schule gehasst und später mindestens maximal hinterfragt habe, aber jetzt find ich sie nicht mehr so verkehrt: dieses komische "zum Nachdenken anregen", das eigentlich gar nicht so komisch ist. Also quasi das revolutionäre Potential in jeder Kunstform, das finde ich (wieder) mehr und mehr gut. Kommt natürlich immer auf das Wie an, reine Agitation ist ja eben überhaupt nicht spielerisch.
    Und dieser Text hier hat das Zum-Nachdenken-anregen voll eingelöst: ich habe bestimmt eine halbe Stunde über das alles nachgedacht, und es hat Spaß gemacht. War zwar kein Gesellschaftsspiel, aber so was wie eine Art Gedankenschach mit mir selbst.

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  2. ah, sooo anonym wollte ich dann gar nicht sein, deswegen hier: viele Grüße, MH

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  3. Danke für den Kommentar MH! Ich denke, dadurch dass die Kunstschaffenden, ähnlich den Narren die Möglichkeit haben, eine andere Perspektive auf das Zeitgeschehen (dem sie sich auch nie nie nie entziehen können) einnehmen zu können ist es unweigerlich Teil ihrer Aufgabe, diese Perspektive aufzuzeigen. Insbesondere denen, die keine Zeit dafür haben.
    Dies alles gilt natürlich nur in Friedenszeiten bzw. in stabilen Systemen, um das Fass mal auch noch aufzumachen. Viele Grüße!

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  4. Danke für die Antwort, den Narrenvergleich finde ich auch immer so treffend - wenn auch anstrengend für einen selbst manchmal. Und das am Schluss ist ein großes Fass, da müsste man glatt mal ne ganze Diskussion dazu machen. ZB was die Narren dann in Krisen- und Kriegszeiten machen können oder nicht stabilen Systemen - ob es sie dann überhaupt geben darf. u.v.m. Viele Grüße nochmal!

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    1. Die Narren sind dann ganz normale Kanonensnacks.

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