Direkt zum Hauptbereich

Käfer in Monaco/Bären im Motorenboot


ACHTUNG! Ich lese live aus dem Blog und zum jemals ersten Mal. Am 28.4. im Besser Leben. Gemeinsam mit Martina Hefter, Laura Friedrich und Giorgio Ferretti.

Wie jeder Mensch überprüfe ich mich in Spiegeln, vergewissere mich, dass die Haare sitzen und ich keinen Dreck im Gesicht habe. Manchmal gehe ich an Spiegeln vorbei und nehme die Reflektion aus dem Augenwinkel war - und einmal, vor 2 Tagen, da blieb ich stehen und sah diesen Körper und auch in die Augen, die mich aus der Mitte des Kopfes in dieser Quecksilberscheibe anschauten. Da bekam ich ein bisschen Angst, dem Blickduell nicht standzuhalten, die Handlungen sind gerade so Cowboyfarben zu Zeit, aber dann dachte ich: Kaum zu fassen, dass das der selbe Körper sein soll, den ich vor 25 Jahren auch schon hatte, dass das der selbe Mensch ist. Stand nicht mal irgendwo, dass sich der Körper aller sieben Jahre komplett erneuert, also alle Zellen einmal ausgetauscht sind? Dann kann das doch gar nicht der selbe sein, die selben Knochen, die selbe Haut. 

Aber da sind ja immer noch die selben Narben. Die eine am Handgelenk, die aussieht als hätte ich mir mal professionell die Pulsader aufgeschitten, nämlich nicht quer sonder längs zum Arm. Aber in Wirklichkeit kippelte ich in meinem Kinderzimmer auf dem Drehstuhl, provozierte die Schwerkraft mal wieder, bis ich nach hinten kippte und mit dem Handgelenk an der Ecke des Turms der Legofeuerwehr entlang schliff...die hatte ich neu, die Plastikplatte, die hier als Dach diente, war also noch richtig eckig, nicht wie die vielen Steine in meiner Kiste, die durchs Aneinanderreiben langsam immer stumpfer wurden, auf manchen habe ich auch, während ich wieder andere, besondere suchte herum gekaut. Und diese Legoplatte fügte mir dann eine Verletzung am Handgelenk zu...zum Glück nicht tief genug für spritzendes Blut an der Rauhfasertapetendecke...daneben ist noch so eine sehr ähnliche Narbe als Erinnerung an eine weitere Schwerkraftprovokation. Ich zog sie mir beim herbstlichen Klettern auf nassen Fernwärme-Heizungsrohren zu - da hing die Haut richtig herunter, aber Pflaster drauf und gut. 

Die Schwerkraft provozieren - eigentlich ein perfektes Beispiel für Dinge, die ich mehrmals tat, obwohl ich wusste, dass sie nicht gut enden werden. Genauso wie schnelle schlenkernde Lenkbewegungen auf dem Fahrrad im Sommer machen. Das einzige Mal, dass ich kurzärmelig bekleidet fuhr, kam mich teuer zu stehen. Ich wollte gerade mit einer Freundin und einem Freund zu einer kleinen Fahrt aufbrechen - es war warm und ich hatte gute Laune und aus dieser Laune heraus machte ich die Schlenkerbewegungen, verlor die Kontrolle und schuffelte mit beiden Armen über die frisch asphaltierte und mit etwas Schotter beschüttete Straße.

Die Steine steckten in meiner Haut, ich fuhr nach Hause, stand vor verschlossener Tür und kriegte ein paar Pflaster von der Nachbarin, die mich schluchzen hörte (ich wollte auch gehört werden). Später Eis und Simpsons im Wohnzimmer dieser Nachbarn. Meine Mutter war gerade schwimmen und kam später nach Hause. Am nächsten Tag panische Schreie meinerseits, weil die Verbände mit den Wunden verklebt waren und meine Mutter sie professionell mit Kochsalzlösung löste. Das ging ein paar Wochen so, bis sich neue Haut bildete. 

Zwei Jahre später, es waren Ferien und ich alleine Zuhause fuhr ich mal wieder mit den Fahrrad durch die Gegend und entdeckte die Schlenkerbewegungen wieder, glaubte sie nun zu beherrschen und legte mich einen Moment später in Sichtweite eines Polizeiautos wieder in den Schotter, einen anderen Schotter, aber er steckte genauso wieder in meinen Ellenbogen...die Polizisten hielten nicht an, ich stieg auf mein Fahrrad und rollte nach Hause, diesmal war mir der Schmerz bekannt, so etwas erträglicher und ließ mir Energie übrig die ich in Ärger über meine Dummheit umwandeln konnte. 

Und dieses Kind soll jetzt ein Erwachsener sein, den ich mir im Spiegel ansehe - ich sehe meinen Hals und meinen Blick, die Brauen und alles anderen und kann es mir nur über die Narben herleiten, die als Wegmarken der Existenz über mich verstreut sind innen und außen. Und doch auch über mein Handeln, denn noch heute Morgen sagte mir ein schlauer Mann: "Gieß nicht das Rohrgranulat in den Abfluss ohne viel Wasser nachfließen zu lassen, sonst betonierst du dir das Siphon zu." 

Natürlich mache ich sowas nicht. Und schon wenige Stunden später schüttete ich Granulat in die Rohre eines Heims, rein prophilaktisch aber natürlich etwas zu viel, genauer: Plötzlich war die ganze Packung alle und meine Umweltbilanz futsch. Ich ließ Wasser laufen und versuchte mich dann kurz an der Schutzblechreparatur meines Fahrrads...aus kurz wurde lang und ich vergaß das Granulat. 

Später war das Siphon betoniert und ich versuchte das ätzende Zeug herauszuhacken...meine Haut wurde weich, die Narben schienen sich durch die Säure zu glätten, doch ich sah in den Spiegel überm Abfluss und war mir sicher, dass ich immer noch ich bin.

TV

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...