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Dwäh/Gleitend

Ich war 14, wir waren am Meer - so ein Kiffgäng-Urlaub, nur, dass ich dir einzige war, der nicht rauchte - aber es gab ja noch Bier und Wein. Ich fuhr mit dem alten lila-pinken Fahrrad meiner Mutter mit dem sie einige Jahre vorher in der Innenstadt in die Straßenbahnschienen geraten war mit meiner Schwester auf dem Kindersitz und sich dabei das Knie verletzt hat, während ich hilflos anhielt und dabei stand. Mit dem Fahrrad bin ich auf der Hinfahrt zu dem Meeresurlaub auf irgendeinem brandenburgischen Umsteigebahnhof umgekippt - ein bisschen so wie Anfang diesen Jahres - also aus Verlust des Gleichgewichts. Nur damals hatte ich bestimmt schon ein zwei Bier gekippt, die dafür reichten, dass ich umkippte. Und mit diesem Kippen ging wie so oft ein Zauber, eine Leichtigkeit verloren. 

Denn bis dahin war die Fahrt von Freiheit bestimmt, ich war ohne Eltern unterwegs und fühlte mich gut. Doch von eine Moment auf den anderen war etwas anders, die Realität kam zurück in meinen freie Renegatenwelt. Denn das Fahrrad kippte zur Seite, ich lag halb darauf und ein Pedalarm verbog so, dass ich nicht mehr fahren konnte. Das Mutterfahrrad blockierte und ich kam nicht von der Stelle, wir mussten aber den nächsten Regionalzug kriegen und plötzlich war ich nur ein kleines Männchen, Käferchen...zum Glück half mir einer der Jungs die mit waren. Mit dem habe ich, wie es so meine Art ist, auch seit Jahren nicht mehr gesprochen - weiß aber, dass er Jugendtour-Führer ist. Diese Kompetenz hatte er damals schon. Vertrauen und Stärke. 

Ansonsten war es ein Strandurlaub mit gemischten Wettern und Gefühlen in einer gemischten Gruppe - Girls und Boys und einige hatten wohl was miteinander. Ich war mir da noch nicht so sicher. Woran ich mich auch erinnere, ist das die Marylin Manson Biografie "The Long Hard Road Out Of Hell" herumging. Eine Freundin von mir und ich stritten uns gerade zu darum, wer als nächstes weiterlesen durfte. Eine weitere Flucht in der Flucht, die Urlaub genannt wird. 

Ausprobiererei in Erwachsensein - Streit um Stoff, Eifersucht und viel Gelächter natürlich. Auch dabei und mich damals eher nervend ein Tape mit dem Album "Unplugged in New York" von Nirvana, zu dem mitgesungen wurde. Entweder gemeinsam zum Kofferradio oder, was ich noch schlimmer fand, nur eine Person mit dem Tape im Walkman unter Kopfhörern, so dass ich nur die Stimme der Perspn hörte, die sich der Musik in diesem Moment wahrscheinlich ganz nah fühlte. Ich vergötterte Nirvana, aber auch Melvins, konnte aber mit dem Akustikalbum nichts so richtig anfangen. Zu viele Emotionen für den Laib des kleinen Männleins. 

Wir hatten auch mal ne Nacht am Strand geschlafen - das fand ich ätzend, weil alles voller Sand war und der Himmel am morgen grau und kalt und mein Hals kratzte. An die Rückfahrt kann ich mich kaum erinnern, sie war aber stiller - die Gruppe hatte sich neu geordnet - zwischendurch war eines der Mädchen noch mit dem Fahrrad gestürzt - über den Lenker auf den Asphalt mit wenig Kleidung an - daher viele Abschürfungen. Das geschah in meinem Rücken, aber ich sah, wie sie flog, über den Boden rutschte und dann aufstand und sehr laut die Straße zur Promenade zusammenschrie. Ich war geschockt - noch so ein Moment in dem das Gute sich von einer Sekunde auf die andere verflüchtigt und ich ganz Beobachter und Speicherer war. Sie kam dann ins Krankenhaus, wurde versorgt und umkümmert. Irgendwie auch spannend, weil den Urlaubstagen einen dramatischen Sinn verleihend. 

Die guten Momente, als ob sie der erste Blitz eines Gewitters wären: Langsam lädt sich die Luft auf, man weiß schon was passiert, Wind, vom veränderten Magnetismus panisch irritierte Vögel, dann, sofern das Gewitter am Tag stattfindet dieses komische Licht auf den zuckenden Blättern, die fast schon leuchten, weil der Kontrast zwischen den dunklen Wolken und dem Grün so intensiv ist. Und dann kommt der Blitz und bevor man ihn sah, ist er schon wieder weg. So sind sie auch, die guten Momente. 

Einer dieser Momente, getränkt in Alkohol, war schon sehr gut: Der erwähnte zukünftige Jugendtourleiter und ich hatten das Kofferradio bei uns und saßen etwas abseits am Strand. Wir planten eine Kassette mit einer bestimmten Band zu hören, ich vermutete sogar Slayer. Das würde auch das Abseits sitzen erklären, weil die anderen das nicht mochten. Wir wussten aber nicht auf welchem der unbeschrifteten Tapes diese Band drauf war. So spulten wir hin und her, die Wellen rauschten und auf der Kassette schien nichts drauf zu sein - ich glaubte, den guten Moment schon wieder über das Wasser hinwegfliegen zu sehen, dann aber plötzlich das Intro des Rage Against The Machine Songs "Bombtrack" - das wir nicht gleich erkannten. Als das Schlagzeug aber einsetzte, fingen wir vor Freude an wild zu hüpfen und uns in den Armen zu liegen, denn wir hatten gar nicht gewusst, dass wir diese Musik dabei hatten. Später bekam noch irgendwer von Dorfnazis auf die Fresse. Ich war schon lange nicht mehr im Urlaub.

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