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Mauer-Sailor/Wall-Fahrer

 


Mal wieder die materiellen Dinge: Diesmal eine Sonnenbrille.

In meiner Adoleszenz war ich lange auf der Suche nach der "Bluesbrothers-Brille". Damals, damals sagt der Lumpenhund, damals konnte ich gar nicht so leicht herausfinden, wie das exakte Modell hieß, nach dem ich suchte. Dies war auch lange bevor ich den Style-Gott kennenlernte - der mir sofort hätte sagen können, dass ich nach einer Wayfarer suche. An dieser Stelle kurz angemerkt, dass nur John Belushi eine Wayfarer trägt, Dan Akroyd hat was anderes auf der Nase. Ich schaue jetzt nicht auf einer Website nach, auf der man den Film eingeben kann und den Brillentyp genannt bekommt und sicher auch gleich einen Link, wo man das Modell erwerben kann. So ging das damals auch nicht. 

Ich glaube, ich streifte durch Kaufhäuser und Billigläden, bis ich irgendwann ein Wayfarer-Imitat in schwarz fand und kaufte oder klaute es. Dieses Exemplar wurde mir später in Berlin in einer Kneipe namens Rosis oder so vom Bassisten der Bloodhound Gang, er nennt sich selbst Evil Jared weggenommen. Erst etwas später fand ich heraus, dass die Brille den Namen Wayfarer trägt. Großen Anteil am Brillenglück haben auch der Vater des Künstlers Robert B, mit dem ich damals verkehrte und mein eigener. Denn beide waren im Besitz originaler Exemplare. Exemplare die jahrelang in den Mittelkonsolen der Familienfahrzeuge herumlagen, wie Ikonen, die von der Wand gefallen trotz allem ihre magische Kraft nicht verloren haben. 

Wir heranwachsenden Rebellen waren glücklich, endlich zu wissen, wie die Brille hieß und trugen unsere Exemplare, bzw. die unserer Väter stolz in unseren jungen Gesichtern. Ich kaufte mindestens noch eine, wenn nicht sogar zwei auf eBay zu sehr günstigen Konditionen. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass uns schon damals die überragende Qualität der US Brillen gegenüber den spätere in Italien hergestellten auffiel. Ein anderer Robert war im Besitz einer Kopie, die von uns aber akzeptiert wurde, da der Rahmen von schwerer Qualität und die Gläser von besonderer Dunkelheit waren. 

Über die Jahre gingen mir auch einige verloren, was immer schrecklich war. Eine in der Nacht nach dem Sandow-Konzert in Halle, auf dem ich mit meiner Band den Supportslot hatte und auf dem Nachhause-Weg fast auf der Straße erfroren bin. Im Whiskey-Rausch verlor ich einen Beutel mit besagter Wayfarer und einem Buch über die "Schwarze Sonne" und anderem okkulten Nazikram. Vielleicht beeinflussten höhere Mächte mein Handeln, die nicht wollten, dass ich tiefer in diese Materie einstieg. 

Genau wie die Illuminaten-Romane ein paar Jahre früher und einige Bücher über Geheimdienste und Verschwörungen war der Abenteuer-Aspekt beim Lesen solcher Bücher für mich viel dominanter als der heutige Kanon der rechten Verschwörer. Ich frage mich warum? Und antworte: Weil die sozialen Medien damals noch mehr oder minder auf Foren und Treffen gleichgesinnter im realen Leben beschränkt waren. Die verwirrten Menschen bekamen erst später, dank der, wahrscheinlich ursprünglich aus Gründen der Gleichberechtigung aller im Netz, erfundenen, sich aber dann zum Fluch des Internets entwickelnden Kommentarfunktion, weltweite Aufmerksamkeit. 

Aufmerksamkeit von gleichgesinnten Durchgeknallten und Leuten aus der Medienbranche, die ihren Kühlschrank auch füllen müssen - die die Sachen größer machten als sie ursprünglich waren, bis wirklich massive Bewegungen daraus entstanden und Menschen auf die Straße gingen und okkultes Zeug mit Antisemitismus vermischten und den anderen die Schuld gaben. Das ist jetzt sehr unscharf von mir formuliert, ich weiß. Das Netz als Vergrößerungsglas für alles was Aufmerksamkeit haben möchte. 

Zurück zu den Brillen und warum ich heute über sie schrieb: ich kam seit einigen Tagen am Plakat eines Konzertes vorbei, auf dem ein Musiker eine wayfarer-ähnliche Brille trägt. Dieser Musiker scheint jedes Jahr hier zu spielen. Auf dem letzten Plakat hatte er einen Hundewelpen im Arm, dieses Jahr wieder eine Gitarre. Wahrscheinlich, weil es inzwischen auch viele Hundeshows gibt und die Veranstalter verärgerte Besucher vermeiden wollen, die Hunde erwarteten aber Musik bekamen und dann im Netz Kommentare verfassten, schlechte Bewertungen gaben, sodass die Veranstalter dem Bankrott nahe, gezwungen waren, Reptilienausstellungen und Katzenturniere mit ins Programm zu nehmen. 

Dieses Jahr also E-Gitarre und 50s Sonnenbrille - und ich kam an diesem Plakat vorbei und erinnerte mich plötzlich daran, dass ich eine solche Sonnenbrille, wie der Musiker sie trug, mit einem etwas dickeren Rahmen als die Wayfarer vor vielen Jahren von meinem Vater borgte, der sich eine solche holte, nachdem er den Ray Charles Film sah. 

Mir allerdings brach ein Glas dieser Brille - wahrscheinlich als ich angetrunken irgendwo stolperte (das sandige Geräsuch des brechenden Glases aus dem Rucksack) und ich ging in ein Fachgeschäft in Halle auf dem oberen Boulevard und frug nach Reparatur. Der Optiker befand sich schräg gegenüber vom skandalösen Thor Steinar Laden, der nicht lange unbeschädigt blieb - ich trug meinen Teil dazu bei, in dem ich auf DHL-Paket-Klebezettel mit Edding Nazi-Ufos zeichnete und den Spruch "Haunebu gegen Nazis" hinzufügte und diese Zettel regelmäßig an die ramponierte Scheibe des Nazi-Ladens klebte. 

Im Brillenladen sagte man mir, die Reparatur sei möglich und würde Summe X kosten. Ich erteilte den  Auftrag doch holte die Brille bis zum heutigen Tag nicht ab. Und so überlegte ich, inzwischen schon einige Schritte vom dem Plakat des Musikers entfernt, ob ich nicht mal schauen sollte, die Brille bei dem Optiker endlich abzuholen. Wenn es ihn noch gibt - das werde ich im Netz herausfinden, keine Bewertungen lesen -  und einfach anrufen. Der Nazi-Laden ist laut Googlemaps, dem weltweiten Vergrößerungsglas, einem Geschäft namens "Billig-Shop" gewichen in dem bestimmt bald ein Heranwachsender glücklich in die Brillenauslage greift und sich ein Wayfarer-Imitat auf die Nase zieht. 

Gut so.

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