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Bong & Konsole / H & Modellbahn


Vor Kurzem wachte ich nach einer Suffnacht auf und wusste, was der Tag für mich bringt: 

Übelkeit, Kopfschmerz und die Gewissheit, dass ich trotz allem Dinge tun muss, von denen ich mir in diesem Moment nicht vorstellen könnte, sie zu bewältigen. Denn ich erschauderte schon bei der Vorstellung des Kraftaufwands, meinen Arme über den Kopf zu heben, um ein T-Shirt anzuziehen oder meinen rechten Fuß auf eine Linie mit meinem Bein zu bringen, um eine Socke über ihn zu ziehen und das ganze dann auch noch mit dem anderen Fuß. 

Als ich das alles in meinem Kopf durchspielte, brach ich zusammen. Ich drehte mich weg vom grauen Himmel der mich durchs Fenster verhöhnend betrachtete, rollte mich unter der Decke ein und konzentrierte mich auf die simplen Dinge, das Atmen - ein und aus. Und dann dachte ich an zwei Personen, um die ich mir sorgen machte, eine kürzlich gegangene, eine die unter uns verweilt - und dank der körperlichen Schwäche und der allgemeinen Überforderung, fing ich an zu weinen, Trauer und Sorge floßen aus meinen Augen. Irgendwas sinnvolles muss ja dran sein, am Suff. 

Immer dieser ökonomische Winkel von dem aus alles gesehen wird - jetzt schon auf den Kater. Kommt das eigentlich von Katharsis? Ich denke schon. 

Und als ich da so lag und meine Übelkeit in Kombination mit hämmerndem Prosecco-Kopf anschwoll, fing ich an gutturale Laute von mir zu geben. Kein Stöhnen, eher ein Röhren, wie ein Wolf mit stinkendem Fell und ich stellte mir vor, wahnsinnig zu werden, gefangen in diesem Zustand, sah es als Spiel - wusste auch, dass dieser Zustand ungefähr 12 Stunden andauern wird, ich wusste es und versuchte mich an der Fähigkeit der zeitlichen Perspektive (welche laut Rising Reißig die Elite vom Pöbel unterscheidet), in diesem Falle also dem Wissen, dass der Zustand der Übelkeit, der kompletten Zerschwächung von Körper und Geist, auch einmal wieder vorüber sein wird. Dies ist allerdings leichter gedacht, als ausgeführt, wenn das was gerade geschieht, so intensiv und allumfassend ist, dass an Zukunft nicht zu denken ist. 

Hinter der Zimmerwand fing auch wieder das Kleinkind an zu schreien, was es jeden morgen tut. Ich hatte das lange nur erahnt, da ich aber einige Tage im Bett verbrachte, stellte ich fest, dass es das jeden morgen tut. Und neben den "Verbrechen & Strafe" - Vibes die ich spürte, es fehlte nur die Tür, die mein Zimmer zu einem Durchgangsraum machte, hinter dem eine verarmte, vom Keuchhusten geplagte Familie lebt, deren "Oberhaupt" gerade von einem Viehwagen überrollt wurde, dachte ich mir: Warum weint es wohl - will es nicht in den Kindergarten? Will es nicht in die Schule? Will es in seiner Traumwelt bleiben oder hasst es, wie ich, sich die Socken anzuziehen, weil das oft so schwer ist und dabei immer wieder der Stoff zerreißt? Das ist mir schon sehr oft passiert, weil die Hasenfuß-Verse zu kantig ist oder die Hornhaut zu hart. Ach, vielleicht bockt das Kind auch einfach nur aus reiner Freude. 

Ich jedenfalls ging dann doch meinen Aufgaben nach, würgte vor mich hin, das erleichternde Gefühl der Entleerung wider die Natur, also oben raus erhoffend. Aber immer wenn ich mich über die keramische Abortschüssel beugte, passierte nichts. Erlösung: kommt nicht. 

Mein Körper verhöhnte mich und prüfte weiter die Fähigkeit meines Geistes sich zeitliche Perspektive vorzustellen - sich vorzustellen, dass ich dieses Erlebnis bald in den Bloog tippern werde und wieder bei klarem Verstand bin. Und ich habe es geschafft, tue es jetzt in diesem Moment - eine Form von Zeitreise, finde ich.

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