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Wiedergeboren als Pizzadienstkleinwagen/Keratinkretin


Werde ich irgendwann verschwunden sein, so wie die Bleistifte, die ich mir in einem verrauchten Büro immer wieder anspitze? Von ihnen bleiben Graphitspuren auf Papier. Was bleibt von mir? Die Überreste von Menschen werden gewöhnlich nicht zum Schreiben, zum Asphaltieren von Straßen oder zum Düngen benutzt. Sie müssen sich damit begnügen, Worte zu hinterlassen oder Erinnerungen an einen lustigen Satz, den sie mal sagten oder etwas grausames, dass sie taten. 

Was bleibt von einem Volk wie dem Deutschen? Ich glaube, auf lange Sicht wird es das Nazireich und deren Verbrechen sein. Es ist doch das Erste was einem einfällt, oder? Und von einem Völker, was bleibt da? Hoffentlich nicht meine Freundlichkeit. Ich hab gemerkt, dass ich langsam zum König der passiven Aggressivität werde. Ich nicke allen Leuten mindestens freundlich zu, um zu vermeiden, in irgendeinen Kontakt und Konflikt mit ihnen zu kommen. Um eine höfliche Ferne herzustellen. Wer freundlich bleibt, bleibt unsichtbar. So wird es irgendwann heißen: Er war immer nett. 

Ich komme auf diese Endungsgedanken, weil ich glaube, dass ich an einem Punkt bin, an dem es nicht mehr besser werden kann. Als ob ich auf einem der Schotterabraumberge in Teutschental herumtanze und irgendwann durch meine Bewegungen das Schottermaterial zwangsläufig ins Rutschen bringe und darunter begraben werde. Von jetzt an geht's bergab. Worauf konkret beziehe ich mich damit? Vor allem auf die Akkumulation von Konsumgütern. Warme Jacke, ordentliche Schuhe, 3 Kilo mehr auf den Rippchen, Gitarren, das Zubehör und ein paar Auftritte. Dies alles habe ich mir über die letzten Jahre zusammengeholt, weil ich glaube, dass ich es mir später nicht mehr leisten können werde. Vielleicht auch gar nicht leisten muss, weil ich dann eben alles habe, was ich brauche und die Kette des immer wieder neu zu stillenden Konsumverhaltens durchbreche. Weil das auch ein bisschen predigend klingt und ich gestern ernsthaft darüber nachdachte auch Pfarrer oder Prediger hätte werden zu können (Alter, diese Sprache!) höre ich an dieser Stelle mal auf damit und lasse noch ein anderes Dings vom Stapel, dass ich heraus aus mir haben möchte (klingt, als gehe es hier um Flatulenzen): 

Ich habe mehrere Leberfleckendreiecke auf meinem Körper. Am Unterarm und am Schultergelenk sind jeweils 3 kleine Leberflecke, die sich in einem nahezu gleichschenkligen Dreieck gebildet haben. Vermutlich kamen die auch alle zur selben Zeit. Und ich muss an die Illuminatentriologie denken oder dreieckige UFOs aus dem Alienbuch aus meiner Kindheit. Die Ufos kommen aus meinem Arm und nehmen mich mit ins gelobte Land von Milch und Honig. Und da laufe ich dann glücklich und laktosetrunken durch die Straßen und sehe einen kleinen Erdklumpen vor mir liegen. Ich hebe ihn auf und prüfe ihn auf seinen Konsistenz, drücke ihn ein wenig zusammen in Erwartung, dass er weich ist. 

Stattdessen gibt es ein knisterndes Geräusch wie beim Zusammendrücken einer Plasteverpackung und meine Hand ist plötzlich voller Schleim und kleiner Hornstücke. Denn der Erdklumpen war eine kleine Schnecke, die auf der Leiter im Garten saß, wo mich die Außerirdischen abgeholt haben. Die Leiter habe ich an ihr Leberflecklufo gelehnt um herein zu klettern und dann mitgenommen, um im Land von Milch und Honig auch wieder aussteigen zu können. Die Aliens sind Lichtwolken und müssen nicht ein- oder aussteigen. Und die Schnecke, die gerade an der Leiter herumschneckte kam zwangsläufig mit und ihre Innereein zerfließen jetzt zwischen meinen Fingern, weil ich zu viel Druck auf ihr Haus ausgeübt habe. Schockiert und angeekelt lasse ich den Schneckenkadaver fallen. 

Das ist mir zwei mal im Leben passiert. Einmal als Kind in einem Wald und einmal vor zwei Wochen in einem Raum, der normalerweise von einer pinken Neonleuchte erhellt wird. Beide Male war ich von der Schleimigkeit angewidert und abgestoßen und fasziniert von der Zerstörungskraft die in mir, in meinen Fingern liegt und mit der ich dieses Lebewesen vernichtet habe. Ohne Absicht, aber doch unwiederbringlich. Im Wald ließ ich die Schnecke einfach fallen damit sie den Boden düngen kann. Im pinken Raum, nahm ich einen Lappen und wischte ihre Überreste weg bevor ich ins Raumschiff stieg. Denn ich wollte nichts hinterlassen, als ich den Planeten verließ.

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