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Stumme Jemand Stimme Niemand

So! Wer "so" sagt, der droht sagte mir letztens ein Reisender. Nachdem ich die letzten 3 Wochen so tief im Sumpf dümpelte wie eineinhalb Jahre nicht mehr, hab ich mir das Bananenkostüm angezogen und mich an der eigenen Schale nach oben gerafft. Hab auf Hinweis von Buddy T "Aus dem Nichts" im Kino gesehen und das war gut. Ich war lange nicht mehr so beeindruckt aus einem Kinosaal heraus getaumelt. Ich war allerdings auch schon lange nicht mehr im Kino. Es geht, meiner kolossal niedrigen unter Bettdecken ergrübelten Meinung um "Gerechtigkeit" in diesem Film von Fatih Akin. Die "Gerechtigkeit" die eine Gesellschaft ausspricht, eine Gesellschaft die "Recht" spricht, als Mittel um den Karren am laufen zu halten, als kleinsten gemeinsamen "Nenner". Darunter kann dann ein Individuum leiden und sich dafür entscheiden, sich über das Recht zu stellen und sein eigene Gerechtigkeit zu sprechen. Und darunter leidet das Individuum, wenn es in sich Empathie spürt. Und es übt Selbstjustiz. Das ist in der Gesellschaft nicht gern gesehen, denn eine Gesellschaft basiert auf gemeinsamen Regeln, an die sich alle halten. Das Individuum pendelt also immer zwischen den beiden Polen, konform und Teil zu sein, dabei aber auf einzelne Aspekte seines eigenen Lebens, der eigenen Persönlichkeit verzichten zu müssen. Der Film stellt das aus meiner Sicht ganz vorzüglich und anhand einer der fatalsten Versagensfälle des Staates dar. So meine Meinung.

Bist du stumm,
Bist du Teil.
Erhebst du Stimme,
Macht man dich zum Niemand.

Wirklich?

Auch ich pendele, wie ihr sicher wisst und ich es oben erwähnte. Ich hatte eine erfolgreiche Phase in Richtung der Fertigstellung des "Albums" hinter mich gebracht und landete wieder in meinem Palast, dann ging es bergab. Jetzt wie gesagt, Bananenkostüm tragend am Tuch der Tugend nagend wieder nach oben. Große Vorsätze nach mehreren deutlichen Hinweisen, wie es nicht geht und wie es besser oder gar noch besser gehen könnte. In die Mülltonnen gesprungen, den Müll gepresst, damit mehr rein passt. Und ich frage mich, wie weit ich Opfer des Konsums bin, wenn ich darüber nachdenke mir noch eine Sonnenbrille zu gönnen oder in meinen Merklisten Gitarren die sich "Weißer Falke" nennen unterbringe, die jenseits meiner Erschwingungsmöglichkeiten liegen. Mach ich das, weil man Träume haben muss, um im Leben "klar" zu kommen? Mit Verlaub, ich habe genug Träume, jede Nacht. Manche angenehm. Ihr werdet es kaum glauben, ich Timm Völker, erwachte vor einiger Zeit lachend aus einem solchen. Meistens sind sie aber von verstörender Parallel-Realität.

Worauf will ich hinaus? Wenn ich woanders hin will, muss ich losgehen. Das Individuum als höchste Kraft. Selbstermächtigung. Das wird überall proklamiert. Des eigenen Glückes Schmied sein. Langsam fange ich an zu zweifeln, ob das, was ich als mein Glück bezeichnen würde, eines ist, das wirklich aus meiner eigenen Fantasie entsteht oder durch perfide bewusste oder unbewusste "Tricks" des großen K implementiert wird. Auf der anderen Seite war das "soziale Glück" für mich schon immer schwer zu handhaben. Einmal ist da die emotionale Wand, die man normalerweise geschmeidig, wie das Panorama-Fenster in der Wolfsschanze nach oben und unten fahren lassen kann, um die Gefühle und Probleme anderer in angenehmem und erträglichem Maße an sich heran zu lassen. Und auch um von sich selbst soviel zu zeigen, wie man es für richtig hält und nicht am nächsten "Tag" denkt: "Warum habe ich denn jetzt so viel von mir erzählt? Mein Gegenüber glaubt mich am Ende noch zu kennen und fängt an mich zu mögen." Und dann grämt man sich und reibt sich an der Bettwäsche oder am Schäferhund und überlegt, ob es nicht an der Zeit wäre, von weißer auf schwarze zu wechseln. Pendeln eben. Einmal ist da also diese emotionale Wand, die bei mir n bisschen grob in der Einstellung ist. Kann man aber reparieren habe ich mir sagen lassen. Dafür braucht man Klarheit. Habe ich mir auch sagen lassen. Klarheit: werde ich mir besorgen. Kostet kein Geld. Sondern Disziplin und Kraft. Krieg ich hin. (Leichtes Zittern in der Blech-Stimme).

Und auf der anderen Seite ist da das Paradox: Sich in Dinge und Menschen hineinzubegeben und anzunehmen (keine sexuelle Konnotation oder doch?) fällt mir schwer, kostet mich Anstrengung. Warum kostet etwas Anstrengung, wofür ich gar nichts tun muss, außer die Arme auszubreiten? Vermische ich meine Abneigung gegenüber Konsum mit dem Annehmen von Liebe? Habe ich nur Hasslieben gelernt? Oder habe ich einfach Angst Dinge zu verlieren und zögere deshalb sie anzunehmen? Irgendwie sowas. Es geht auf jeden Fall in großen NARRzistischen Schritten voran. Voran in die Mitte der Gesellschaft, die in so viele Teile aufgespalten ist, dass sie sich ihrer Kraft selten bewusst wird. Dazu aber später mehr. Oder sagen wir: das was ich hier anhand meines eigenen Beispiels niedergeschrieben habe, kann man auch auf die Gesellschaft übertragen.

Wenn man will.
Wenn man will, kann man aber auch "Stranger Things" oder "Dark" schauen oder sich einer der vielen anderen kulturellen Dystopie-Angebote hingeben und sagen: "Zum Glück ist es nicht so schlimm." oder " Ist doch ganz okay so." 

Ich sage lieber:

"Es könnte besser sein, noch besser als das hier."

Und drehe mich im Kreis.

Happy Old Year,

T.

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