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Das Ende der Argumente/That's Ententraining

Das Gefühl ein Tourist zu sein kam auf, als ich vor einigen Tagen gemeinsam mit zwei Nahestehenden durch Etablissements in Leipzig Connewitz zog. Ich wohnte dort vor einigen Jahren halte mich aber in der Zwischenzeit vermehrt in anderen Gefilden auf und bemerkte, wie wenig sich die Einwohner der Stadtteile durchmischen oder aber: wie abgeschottet und desinteressiert ich lebe. 

Das Tourifeeling kam auf, weil ich mich überall so neu und als Gast fühlte, schaute mich interessiert um und gerierte mich anders als dort, wo ich sonst gastiere. Ich konnte aus der Unsicherheit ein bisschen Schauspielern, ein oder zwei kleine Rollen darstellen und auf die "falsche" Toilette gehen. Das finde ich immer sehr irritierend, wenn an den Toiletten zwar Schilder für "weiblich" und "männlich" dran sind, diese aber nicht eindeutig zu identifizieren sind. Dann können sie die doch gleich weg lassen oder ist das das Amüsement der Betreiber oder soll das Kommunikationsfördernd sei, weil man dann jemand der auch davor steht oder den Platz direkt neben den Klos zugewiesen bekommen hat, fragen kann/muss? Vielleicht ist das ja für die Touristen, damit sie Kontakt zum lokalen Volk bekommen. 

So gingen wir also in einer für Touristen typischen Mischung aus Neugier, Interesse aber auch Unsicherheit durch die Straßen, die wir kannten und die uns gänzlich unbekannt erschienen. Wir hielten uns ans Bier. Das kannten wir. Und ich fuhr sogar für circa zwanzig Minuten aus der Haut, weil ich den Schorf vom Konflikt über den politischen Gehalt von Musik (hier vor 2 Wochen kurz angerissen) nochmal abpulte und es von neuem los ging. Diesmal mit etwas mehr Effait mit leichter Tendenz zum Beleidigen in Richtung meiner Gesprächspartnerin, während der gnadenvolle Dritte im Bunde leicht verwirrt in die Positionen des Schiedsrichters gedrängt wurde. 

Ebenfalls hier: ein Effekt des Tourismus. Wo man nicht Zuhause ist, da benimmt man sich anders. Ich würde nicht sagen, schlechter, zumindest habe ich mir diesbezüglich Manieren antrainiert, aber anders. Denn: aus der Krabben-Haut gefahren, bin ich schon länger nicht mehr. 

Naja...mein letzter Punkt zum Thema Tourismus: mir wurde Eigenheiten bewusst, die ich vorher an mir gar nicht so registrierte. Ich fühlte mich vor allem durch die Art meiner Sprache auf einmal unangenehm intellektuell, schon fast penetrant elaboriert. Das wühlte mich auf, daher eventuell auch das spätere Fahren aus der Haut. Erkenntnis: Um sich selbst zu beobachten, begibt man sich am besten an einen fremden Ort. 

Am Ende des Abends brachte ich, nachdem mir jemand, den ich länger nicht mehr sah entgegenrief: "Was ne Überraschung", den Spruch: "Besser spät als nie, wie damals beim Einmarsch in Polen." Im Nachhinein, was konkret bedeutet, circa eine Minute nach dem ich das sagte, kam ich mir schon sehr bescheuert vor und als ich gestern etwas über Nazi-Übergriffe las und einen Artikel, der einem aggressiven Tunichtgut aus Thüringen Raum gibt zu Verbreitung seiner sinnlosen Thesen, da fühlte ich mich mal wieder RICHTIG DUMM. 

Genauer gesagt, dachte ich mir, dass diese ironische Nazi-Provo-Schiene, die ich in der Vergangenheit manchmal fuhr und die vereinzelt auch heute auftaucht nicht angebracht ist. Klar, die Punks haben in den 70ern damit provoziert. In England und auch in der BRD und viele die in der DDR oder in den Jahren danach Bock auf Stress hatten, haben sich an der Provo-Nazi-Keule gütlich getan. Weil es ein einfaches Schockmittel war. Das Problem ist nur: es gibt genug Leute, die das Ernst meinen, wenn sie sowas sagen. 

Und zu denen möchte ich nicht gehören, weiß aber aus anderen Bereichen, dass es schnell geht, das aus Provokation oder Witz etwas festes werden kann. Diese meine nicht wirklich neue Erkenntnis ging einher mit einer Trauer und auch leichten Angst darüber, was und wie berichtet wird über die Machenschaften und das Herumtönen von Leuten, die nur durch Herumtönen Einfluss haben und Dinge erreichen. Ich lese viele (Online)-Artikel. Viel über Trump, Bannon, Erdogan, AfD und so weiter und muss sagen und wenn ich schreibe MUSS, dann meint das, ich will es nicht sagen, dass ich es leid bin darüber zu lesen. 

Ich bin es leid, dass diese Menschen damit durch kommen, dass man ihnen zuhört, weil sie herum tönen bzw. schreien. Also laut reden oder mit Aussagen provozieren, die keinen anderen Gehalt haben, als das womit provoziert wird. Und es funktioniert. Natürlich funktioniert es, denn wie kann man darauf nicht reagieren? Wenn mich jemand anschreit, dann höre ich das ja, dann fühle ich mich entweder genötigt zurück zu schreien (gleich noch etwas dazu), Angst zu haben oder es zu ignorieren (nicht so einfach). Aber in irgendeiner Weise bin ich gezwungen zu reagieren, auch wenn ich es nicht will. Und so bekommen diese Menschen Aufmerksamkeit. 

Eine neueste Erkenntnis ist auch: argumentativ ist dem nicht beizukommen, da Argumente abgelehnt werden, was wie eben angedeutet dazu führen kann, dass ich gezwungener Maßen argumentationslos zurück schreien muss. Auch wenn ich das nicht will. Man könnte an dieser Stelle argumentieren: "Junge, so ist das eben. Die Zeiten ändern sich und manche verstehen eben nur die Faust respektive man muss mit ihnen in einer Sprache reden, die sie verstehen." klingt erstmal ganz plausibel und macht Lust auf Männlichkeit und Krieg und Sparta. Wenn man will. 

Und wenn nicht, soll man es vielleicht lernen? Gibt es keinen anderen Weg, Menschen die anderer Meinung sind entgegenzutreten? Wie klinge ich eigentlich schon wieder? Es wird immer Feinde geben, Feinde sind wichtig. Man kann sich an ihnen abarbeiten und kann sich abgrenzen und dadurch wohlfühlen, was mich aber stets stört ist, wenn ich dazu gezwungen werde oder allgemeiner gefasst, man die anderen mit ihren eigenen Mitteln schlagen soll. 

Dann haben sie nämlich schon fast gewonnen. 

Schlussendlich sage ich: Tourismus lohnt sich.

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