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#393 Allergologischer/Sinkflugtarif

Ich entdecke die beruhigende Wirkung von Bäumen im Wind. Ich kann mich glücklich schätzen, an einem Fenster sitzen zu können und ohne der Forderung nach einem tieferen Sinn auf die Blätter der Bäume schauen zu können. Sie wiegen an den schwingenden Ästen ganz leicht hin und her, wackeln, winken und in diesen ganz konkreten Bewegungen ohne Bedeutung verblassen meine selbstauferlegten Listen mit Aufgaben und ich drifte in ein Starren, nur unterbrochen durch das Blinzeln damit die Augen feucht bleiben. Die Bäume. Die Bäume, sie nehmen den Wind einfach hin, genauso wie die Hitze und alle anderen Witterungserscheinungen. Obwohl sie Wesen von erstaunlicher Größe und Kraft sind, so könnte man denken, schwingt eine Hilflosigkeit in ihrer Existenz mit. Sie können sich den Platz an dem sie leben nicht aussuchen, vor allem, wenn die Bedingungen ungünstiger werden, können sie nicht gehen. Und sie nehmen es hin, wirken bei genauerer Betrachtung eben gar nicht so hilflos, sondern erfüllt von einem Gleichmut, der sie alles ertragen lässt, was sie sowieso nicht ändern können. Ganz anders, als ich, als wir, die, überzeugt durch die Fähigkeit uns zu bewegen, glauben, Situationen ändern zu können, den Standort zu wechseln, wenn uns etwas nicht passt. Doch mit der Bürde der Bewegung kam auch die Rastlosigkeit in unser Leben und wenn es dann mal wieder besonders rattert, wie offene Kohlewaggons gezogen von einer Taiga-Trommel, frage ich mich, ob es nicht doch besser wäre, Baum zu sein, den Wind in mich aufzunehmen, ein bisschen mit den Blättern zu schütteln und die Situation hinzunehmen. Denn, was nützt all die Bewegung am Ende? Man kann aus der Sonne gehen und sich im Schatten eines Baumes verlieren. Das ist doch schon genug.

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#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

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#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...