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Versunken in/Aufsteigender Dunkelmond

Ich träumte von einer kargen Dachgeschosswohnung in der ich lebte. Die Böden waren mit abgenutzten Holzdielen belegt, die Wände teils von grauem Putz bedeckt, hier und da aber auch noch sehr alte Tapeten. Es gab zwei quadratische Zimmer von jeweils zwanzig Quadratmetern, die mit einer Tür verbunden waren und jeweils ein Fenster, dass in die Dachschräge gebaut war. Das Licht, dass durch die Fenster fiel, reichte aus, um die Räume in ein dunstiges gelbgrau zu tauchen. Als einzige Möblierung befanden sich im vorderen Zimmer ein flacher Schrank und eine Matratze mit weißen Bettzeug, sowie ein Waschbecken mit einem kleinen Spiegel darüber. Ich hatte keinen Kontakt zu anderen Menschen, eine kleine Hauskatze war das einzige Wesen mit dem ich meine Zeit teilte. Einsamkeit und Ruhe waren die dominierenden Zustände, hinzu kamen Angst, wie ich die Katze und mich hier durchbringen sollte, denn ich wusste nicht, woher ich mein Geld bekam. 

Ich dacht dies, als ich mich von der Matratze erhob. Ich schien hier schon länger gelegen zu haben und gerade aus einem leichten Dämmer erwacht zu sein. Während die kleine Katze am Fußende nur mit der Schnauze unter der Decke hervorschaute, trat ich vor den Spiegel. Mein linkes Nasenloch war verstopft und ich wollte es mit einer Nasendusche und etwas Salz frei spülen. Ich setzte die Apparatur ans rechte Nasenloch, um den reinigenden Wasserfluss, der durch das Salz etwas brennt und mich an den Urlaub am Meer erinnerte, wo man irgendwann immer etwas Salzwasser schluckt, an der Nasenscheidewand vorbei durch das linke wieder herausfließen zu lassen. Der Druck in meiner Nase nahm zu und ich sah, wie sich eine Blase bildete, die aus meinem Nasenloch herausquoll. Diese Blase wurde immer größer und bestand zu meinem Erschrecken nicht aus Flüssigkeit, sonder aus Gewebe, dass sich immer weiter ausdehnte und aussah, als hinge mir der Dottersack eines Haibabys aus der Nase. 

Erschrocken tastete ich an diesem Gewebe herum, dass von Adern durchzogen und ganz weich war, wusste nicht, was ich tun sollte und entschied mich, es durch einatmen einfach wieder in der Nase verschwinden zu lassen, wobei ich mich wunderte, dass sowohl die Ausdehnung als auch die Rückführung gänzlich schmerzfrei von statten gingen. War ich, während ich vor mich hindöste zu einer alten Steinskulptur geworden, die von einem Expeditionsschiff heruntergefallen und auf den Boden des Pazifiks gesunken war und nun als Brutstätte für Haie diente? 

Ich wachte auf, diesmal in der Realitätsebene, die wir als die unsrige begreifen. Auch hier lag ich noch eine Weile da, genoß die Ruhe des frühen Morgens, die Stunde zwischen den letzten Feiernden und den ersten Lieferanten, die mit ihren LKWs mit röhrenden Kühlaggregaten vor dem Haus halten. Ich fühlte mich, wie seit einigen Tagen umnebelt, als brüte eine Erkältung in mir und erinnerte mich an die Zeit, in der Luftfilter in aller Munde waren und jeder Ort mit Publikumsverkehr sich so ein Gerät anschaffte, meist staatlich gefördert. Kostspielige, futuristisch aussehende Maschinen waren das. Von der Größe mit einer Kühlschrank/Gefrierkombination zu vergleichen, meist aber waren sie mattschwarz, was ihnen in Verbindung mit kleinen blinkenden Lampen und glatten Oberflächen die Anmutung von Alientechnologie oder religiösen Kultsteinen verlieh. Sie standen dann in Kinos, Theatern oder Ämtern und surrten leise vor sich hin, reinigten die Luft von gefährlichen Partikeln und ermöglichten, was auch immer die Orte für nötig hielten. Am Ende ging's ja doch meistens nur darum, dass die dort Arbeitenden nicht entlassen werden mussten oder die vielen Selbstverwirklicher ihren Traum der Kulturarbeit noch nicht aufgeben mussten. 

Kurze Zeit später waren die Filter schon nicht mehr notwendig und wurden in Ecken oder Lagerräume geschoben. Ich sah so einen mal, als ich in einer Pause bei einem Theaterjob durch Gänge und Kammern schlich, damit die Zeit verging. Er stand da, seiner Tätigkeit beraubt, vom Netz genommen, langsam einstaubend. Und ich fühlte eine Sympathie für ihn, trug den Begriff "Luftfilter" aber auch sofort in die Liste von Dingen ein, als die ich nicht wiedergeboren werden will, neben anderen wie "Musiklaptop in einer Bar" oder "Reisezahnbürste"

Aber vielleicht bekommt ja der eine oder andere Luftfilter, genauso wie ich, als Statue am Meeresgrund ein zweite Karrierechance als Kinderstube für Tiere. Keine Haie, aber vielleicht ein paar Ratten. Man muss einfach flexibel bleiben.

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