Direkt zum Hauptbereich

Logipack/Ausbürgerung

Es gibt bessere Orte, Veränderungen am eigenen Körper festzustellen, als die Öffentlichkeit. Ich saß gerade in ein Gespräch vertieft auf einer Bank, als ich mir durch die Haare strich. Dabei ertastete ich über meinen Ohren, also links sowie rechts längliche Eindellungen, bzw. leichte Wülste. Nach dem ich sie einmal entdeckt habe, fuhr ich immer wieder, möglichst unbemerkt von meinem Gegenüber fasziniert an den Wülsten entlang, konnte gar nicht mehr damit aufhören, schob sie hin und her und wunderte mich, warum ich die vorher nie wahrgenommen habe. Ich nahm zwar noch am Gespräch teil, hatte aber meine Hauptaufmerksamkeit auf sie gerichtet und fing an darüber nachzudenken, ob das Schwellungen sind oder man am Kopf dick werden kann. Vielleicht, so überlegte ich, waren die Eindellungen direkt über dem Ohr, entstanden durch das permanente Tragen von Wayfarer-Sonnenbrillen, denn sie waren in Größe und Form deren Bügeln ziemlich ähnlich. So saß ich dort also und tastete an meinem Kopf herum. 

Überhaupt, der ganze Kopf erscheint mir, wenn ich jetzt gerade weiter daran herumfühlte, viel verbeulter, als ich bisher glaubte. Überall knochige Huckel und Krater. Ich empfinde eine Mischung aus Neugier und Angst. Keine Angst davor, dass hier etwas abnormal ist, eher, dass der Kopf vielleicht doch nicht so stabil ist, wie ich dachte. So, wie es mir immer geht, wenn ich meinen Körper an verschiedene Stellen drücke oder biege. Die etwas beunruhigende Feststellung, dass dort drin von einer Haut geschützt, Organe und Därme liegen und Knochen ineinander gehakt, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen, dass stabil bleibt. Im Moment des Begreifens dieses Konstrukts, spüre ich stetig einen Zweifel, ob das wirklich so funktioniert. So als ob der Gedanke allein dazu führen könnte, dass ein Zauber-Schwindel auffliegt und mein Leib auseinander fällt. 

Wobei ich in Bezug auf die Stabilität meines Kopfes beruhigt bin, da ich mich an verschiedene Schläge mit Händen und Gegenständen aus Kinderspielen erinnere, die sowohl mein Kopf, als auch meine Nase ohne weitere Spuren aushielten. Doch auch damals wunderte ich mich darüber. War ich eine Maschine oder haben die vielen hundert Liter H-Milch, die ich zu mir nahm, meine Knochen sehr hart werden lassen? Als wäre mein Kopf eine Kugel aus Metall, eine verbeulte. 

Und Metallkugeln erschienen mir heute früh auch beim Erwachen. Ich sah vor meinem Inneren Auge die Menschen, also die Menschen generell als dunkle, manchmal von einer schwach leuchtenden Aura umgebene Metallkugeln, vielleicht magnetisch, auf jeden Fall Kugeln, in einer dunkles Spähre schwebend, die sich als Mittelpunkt, metallischer Kern einer Welt sehen. Und ich glaubte, darin zu erkennen, warum wir uns nie wirklich verstehen oder auf einen Nenner kommen können. Denn diese Kugeln ziehen sich vielleicht an, aber prallen voneinander ab, wenn sie aufeinandertreffen. Und ich grübelte, wie es besser sein würde. Wenn wenn wir Fäden wären, die durch den Raum schweben, würden wir aneinander hängen bleiben und uns zu großen Netzen zusammenfinden. Wir wären weich und leicht, aber kämen vielleicht nicht mehr voneinander los oder schlimmer noch, wären Teil eines Spinnennetzes und würden benützt, um Insekten einzuhüllen, damit Raubsspinnen ihr Inneres auflösen und aussaugen können. Dann doch lieber ein Leib sein, über dessen Stabilität besser geschwiegen werden sollte.

TV

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

#412 Atemschrei

Seit 10 Jahren kehrte er das Treppenhaus eines Buchlagers. Ein alter Plattenbau mit Stufen aus glattem Beton und definierten Winkeln und Kanten. Nicht wie die ausgetretenen Holzstufen im Nebengebäude der Tierpathologie, in der er vorher angestellt war. Den Dreck dort aus den Rissen und Fugen herauszubekommen, dauerte Stunden. Aber hier auf dem Beton fühlte es sich an wie ein Tanz, wenn er den Besen in sanften Wellen über den Boden schwang. Auf dem Weg dort hin und zurück kam er jeden Tag an einem kleinen Geschäft vorbei. Lange Zeit war es ein Imbiss, betrieben von einer Frau und einem Mann, die Filterkaffee, Cola in Dosen und zwei Sorten Flaschenbier verkauften. Dazu ganz akzeptable Pommes aus einer in die Jahre gekommen kleinen Fritteuse.  Als er sich entschloss, mit den beiden einmal mehr Worte zu wechseln, als "Eine Cola, bitte."   - "1,20" und "Stimmt so." teilte ihm die Frau mit, dass sie in zwei Wochen endgültig schließen - Rente. Beide hatten bis z...

#411 Lachwald

Die nassen Blätter der Bäume im Wald hängen tief, so tief, dass sich Silvio entscheidet, den Arm zu strecken und sie zu berühren. Eine Entscheidung bewusst treffen, sie in Signale umwandeln, die den Körper eine Handlung vollziehen lassen, geben ihm das Gefühl ein wenig Kontrolle über sein Leben zu haben. Er sieht den Menschen, die ihm entgegenkommen ins Gesicht. Er lächelt sie an. Irgendwann hat er damit aus einer Laune heraus angefangen und jetzt wird er diese Gewohnheit nicht mehr los. Früher, war er dafür bekannt, finster drein zu blicken. Wie oft sagten die Menschen zu ihm: "Lach doch mal." Aber es ist ja klar, dass "Lach doch mal" - das letzte ist, was einen dazu bringt, zu lachen, also wirklich zu lachen oder zu lächeln und nicht nur die Mundwinkel nach oben zu ziehen, bis die Zähne zu sehen sind und man aussieht wie ein perverser Clown.  Eigentlich, und daran erinnert sich Silvio immer wenn er lächelt, ist lachen nur ein evolutionäres Überbleibsel einer Verte...

#410 Bibelfliege

Steve sitzt an seinem Küchentisch. Der Tisch ist aus einem hellen Holz gefertigt, er hatte ihn gebraucht gekauft, einige dunkle Verfärbungen, dort wo schon vor ihm jahrelang Menschen ihre Arme abgelegt hatten. Erst beim Essen und später auch die Köpfe nach langen Trinknächten. Da sind auch Kerben, wo rohes Fleisch und Zwiebeln direkt auf dem Holz geschnitten wurden. Vielleicht sogar, so denkt er sich, hat auf diesem Tisch mal jemand Buchstaben aus einer Zeitung für einen Erpresserbrief mit dem Teppichmesser ausgeschnitten und dabei kleine Kerben hinterlassen.  Er fährt mit seiner Hand über den Tisch. Hinter ihm fällt flaches Sonnenlicht durch das Fenster. Die Blätter der beiden Bäume auf dem Hof verlieren langsam ihr Grün, aber der Wind ist noch nicht stark genug, sie von den Ästen zu reißen. Neben dem Tisch hängt ein Schrank, der zu der ebenfalls gebrauchten Einbauküche gehört, die Steve einer Frau abgekauft hat, die aus ihrer Stadtwohnung aufs Land zog. "Aus gesundheitlichen Gr...