Ich betrachte die Männer auf den Straßen, insbesondere die Familienväter und insbesondere dann jene, die so friedlich aussehen: Jogagefestigt, freundlicher Blick, weite Kleidung, ruhig sprechend und fürsorglich umgehend mit ihren Kindern, von denen viele längeres Haar haben und frei und glücklich umherschwirren. Ich betrachte diese Familienväter während sie mir auf einem engen Fußweg entgegenkommen und überlege mir, wie sie sich in einer Kriegssituation verhalten würden. Würden sie sich sofort ergeben und gar nicht erst kämpfen oder würden genau diese Menschen moralisch legitimiert durch die Aufgabe der Verteidigung ihrer Familien zu den barbarischsten Taten fähig sein? Mit verkrampften Kiefern, dreckverschmiert und unterdrückte Schreie abgebend würden sie auf andere Menschen schießen oder einschlagen, mit bloßen Händen töten, in dem Glauben, das richtige zu tun, weil sie auf der richtigen Seite stehen.
Und genau das ist es ja, was den Krieg ausmacht: Er hält alle in dem Glauben, dass sie auf der richtigen Seite stehen und die anderen auf der falschen und so geht es ewig weiter. Schon klar, der Krieg an sich hat keinen Willen, ist ja kein Mensch, aber menschengemacht und die, die in führen versuchen ihre Kämpferinnen und Kämpfer natürlich zu motivieren und das geht am besten über Angst und Moral. Und ganz am Ende wollen alle auf der Seite des Lebens stehen, welches die anderen bedrohen. Aber wenn alle sich gegenseitig nach dem Leben trachten, könnten sie doch auch einfach die Kampfhandlungen sein lassen und nebeneinander existieren. Falsch! Denn der Krieg wird ja nicht um seiner selbst Willen geführt, sondern eben aus Interessen wie Besitz, Machtausdehnung oder auch einfach Raumanspruch...und zieht uns alle mit rein, macht uns alle gleich, nämlich menschlich und sterblich. Schrecklich.
Einst wurde mir gesagt, solche Gedankenketten mit erhöhtem Gewaltanteil würden aus Stressenergie entstehen, die so versucht auf ungefährliche Art nach Außen zu gelangen. Ich halte sie aber auch für einen Ausdruck meiner Angst, die auf die Erkenntnis folgt, wie fragil der Zustand ist, in dem sich die Städter um mich und mich eingeschlossen befinden. Es scheint alles so stabil und geordnet zu sein. Essen gibt's im Supermarkt, Wasser aus der Leitung und ob ich lange oder kurze Haare habe, wird keinen dazu bringen mir nach dem Leben zu trachten. Und wenn es mir nicht gut geht, werde ich in einem Krankenhaus behandelt.
Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es schon ein paar Kilometer weiter, okay, vielleicht auch ein paar tausend ganz anders aussieht, frage ich mich, wie lange das noch so gut gehen kann und vor allem, was passiert, wenn es eben nicht mehr gut und sozusagen ans Eingemachte geht. Und das Eingemachte ist ja auch irgendwann alle und wie werden sich die Menschen dann verhalten? Welche Regeln werden gelten?. Wozu werden die friedlichen Familienväter in der Lage sein? Und dann hebe ich die Mundwinkel leicht, was ein minimales Lächeln erzeugt und dem mir entgegenkommenden Vater mit Kind im Tragetuch signalisiert, dass ich ihm friedlich gesonnen bin oder zumindest nicht feindlich. Und er wird mich nicht als Bedrohung oder potentielle Nahrung betrachten. Noch.
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