Ich habe mir die Kante gegeben, um am nächsten Tag dabei sein zu können, als ich wieder ein normaler Mensch wurde. Raus aus dem zittrigen Taumel, die Bisswunde am Oberarm wiederentdeckt, dann betastet und das menschliche Zahnmuster in den Blutergüssen gefunden. So scheint es mir, das der Zweck des Exzesses doch mindestens zum Teil darin liegt, eine Rückkehr ins normale Zustände der Wahrnehmung und körperlicher Tüchtigkeit aktiv mitzubekommen. Und dann frage ich: Mit welchen Recht? Mit welchem Recht nehme ich mir solche Freiheiten heraus, während andere sterben oder arbeiten? Das ist der gute alte Wille zur Selbstbeschädigung.
Der treibt auch die Nacktschnecken, deren Haut gemustert ist, wie die eines Leoparden auf die mit LED-Licht erhellte Steinveranda, auf der ich nach einem Konzert verweile. Nach und nach kommen Gäste aus dem Konzertraum und zünden sich Zigaretten an, selbstgedrehte und industrielle. Ich schaue auf die in Sandalen steckenden gepflegten Füße einer Frau. Sie tritt im Stehen hin und her und bemerkt nicht die Schnecke, die da auf dem Boden kriecht. Zwei Mal senken sich die Sandalen, lila, sehr nahe neben der Schnecke.
Beim dritten Mal erwischt es sie. Ganz langsam berührt der linke Schuh den Boden. Die Frau in ein Gespräch vertieft bekommt nicht mit, dass zwischen ihrem Fuß und dem rauen Stein ein Lebewesen ist, dass gerade platt gequetscht wird. Sie erzählt und raucht und ich starre auf die Sandale und erwarte jeden Moment das Innere der Schnecke an der Seite herausquellen. Ich sage nichts, möchte nicht schon wieder Gott im Schicksal der Tiere spielen. Als die Frau mit anderen Gästen die Veranda verlässt, sehe ich, wie die Schnecke zusammengezogen, aber scheinbar noch intakt an der selben Stelle liegt, an der sich der Schuh über sie senkte. Langsam dehnt sie sich wieder aus und sucht das angrenzende Gras auf.
Götter, immer wieder Götter, was uns das fürchten vor ihnen lehrt, ist ja ihre Gleichgültigkeit oder auch Macht und Laune, denen wir ausgeliefert scheinen, dass sie uns mit einem Wisch vernichten können, einfach weil sie wollen. Das füllt das eigene Leben einerseits mit Angst, andererseits entbehrt es aber auch nicht einer gewissen Entspannung im Angesicht der Probleme jenes Lebens. Man hat es ja nicht in der Hand. Anders als die Götter - siehe auch das Ende des ersten "Man in Black" Films, das mich nachhaltig beeindruckte. Denn da wird aus einer Straße von New York, einem Satellitenbild gleich herausgezoomt, bis man die ganze Stadt sieht, das ganze Land, dann die Wolken und die ganze Erde, der Zoom geht weiter, vorbei am Mars, Merkur, der Sonne, raus aus dem Sonnensystem, raus aus der Galaxie, immer schneller, bis das alles endet in einer Murmel, die mit anderen Murmeln in einem organisch wirkenden Sack liegt, aus dem sie dann von einem Tentakelwesen gegriffen und auf ein Spielfeld geschmissen wird. Das beruhigt doch.
Aber Gleichgültigkeit und Launen, das sind menschliche Eigenschaften, was mal wieder unseren Hochmut beweist, wenn wir glauben, uns wie Götter zu verhalten, nein, uns diese Wesen erdacht haben, behaupten sie seien uns überlegen, obwohl sie sich aber am Ende doch nur menschlich verhalten und uns dadurch glauben lassen, die Gleichgültigkeit sei in Ordnung, weil göttlich.
So versammeln wir uns um ein kleines Glas, aus dem ein Wesen geschüttet wird, das wie ein Insekt anmutet, aber nur vier statt der üblichen sechs Beine hat und dazu noch völlig pelzig aussieht. Es kriecht ganz langsam unter den Augen dreier riesiger Wesen über eine weiße Fläche, eines der Wesen sagt, es ist bestimmt ein Käfer, der erst in eine Bierlache gefallen und dann durch den hier überall liegenden Staub gekrochen ist und dabei zwei Beine verloren hat. Die anderen beiden überlegen, ob es ein außerirdisches Wesen oder ein unbekanntes Ungeziefer ist und weil keiner mehr etwas interessantes zu sagen weiß, schlägt das eine Wesen das staubige Vierbein mit dem Glas platt und wischt es vom weißen Tisch.
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