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Ein Bett in Cornflakes/Ticktack die Friedhofsuhr

Es ist die Zeit, die alle Wunden heilt. Dafür kann man ihr mal dankbar sein. Gerade auch wenn man erst realisiert, dass sie geheilt hat, wenn sie vergangen ist. In der Situation davor, scheint es ja manchmal so, als ginge die Pein, die Angst, der Schmerz nie vorbei und würde für immer herrschen. Und gleichzeitig ist die Vorstellung undenkbar, dass es jemals anders sein könnte. Aber irgendwann ertappt man sich dabei, zu sagen: "Huch, es geht ja."...aber bevor es weiter ins Abstrakto-Land, hier ein paar Profane Nahrungserlebnisse:

Los geht es mit der Unzulänglichkeit Käse-, Wurst- oder sonstige Plastikpackungen zu öffnen, die so einen Foliendeckel haben. Dies fiel mir insbesondere dann auf, als ich nasse Hände hatte, weil ich vorher kurz Obst oder Tomaten abgewaschen habe. Hat man die kleine "Hier Öffnen" Lasche endlich hochgeklappt gekriegt, ist es trotzdem nahezu unmöglich die Folie aufzuziehen, denn zwischen den nassen Fingern rutscht sie ständig weg. Natürlich wäre es ein leichtes die Hände und die Verpackung mit einem Küchenhandtuch abzutrocknen. Wenn es eins geben würde. Gibt es aber nicht. Und der hungrige, fahrige Mensch verzweifelt. 

Und nochmal kurz zu den "Hier öffnen"-Laschen. Die sind dank der fehlenden Präzision der Massenproduktion oder der versäumten Kalibrierung der Folierungsmaschine im Käse-Werk (Keifende  Stimme des Vorarbeiters "Keine Zeit für Kalibrierung, wir müssen Kosten sparen. Der Käse muss raus raus raus.") manchmal auch wie der Rest des Foliendeckels komplett mit der Verpackung verklebt und man steht da, mit ordentlich kurzen Fingernägeln und piepelt an der Ecke rum und fühlt sich wie ein Affe in Gefangenschaft, der zur Beschäftigung und gegen die Langweile im Gehege seinen Honigjoghurt erst mit einem Stock aus irgendeiner Kugel rausstochern muss. 

Die zweite Runde dreht sich um die Impulskauffalle, Lebensmittelverschwendung und die damit einhergehende Scham. Mein normaler Kaufhallenbesuch besteht daraus, dass ich spartanisch und fokussiert, dass kaufe, was ich eben brauche. Käse, Brot, Saft und Blumen. Natürlich sehe ich auch die anderen tollen Produkte, allen voran Süßigkeiten, Eise, Sonderangebote. Was mir jetzt gerade bewusst wird, ist, dass ich beim Einkaufen überhaupt kein Verlangen danach habe, alkoholhaltige Getränke zu erwerben...jedenfalls schaue ich mir auch die Wochenprodukte an. Schlafanzüge, meist nur noch in L und XXL vorhanden, Duschmatten, Laminiergeräte, usw...ich nehme aber nichts davon mit, sehe es als eine Art von Entertainment. 

Auch am Müsli- und Cerealienregal gehe ich vorbei. Mein Bedarf an solchen Produkten ist ziemlich gedeckt, da ich mich bis ich 16 war, nahezu ausschließlich von so etwas ernährt habe. Nur ab und zu, nach mehreren Monaten des Betrachtens der Verpackungen aus dem Augenwinkel nehme ich mal was mit. Aus nostalgischen Gründen meistens eine von den Packungen mit einem der Tiere (der Bär, der Frosch, der Tiger, der Affe, das Einhorn, das früher mal ein Kakadu war) drauf. Und diesmal, nach Wochen der rationalen Argumentation, dass es unnötig sei und vor allem extrem teuer, griff ich "spontan" zu einer Packung "Crunchy Maisbälle mit Erdnussumhüllung, super knusprig". Hatte ich noch nie, geht doch mal und überhaupt: Einfach mal machen und nicht so viel grübeln. 

Dazu musste natürlich noch eine Packung Milch her, genauer Hafermilch. Früher war es immer H-Milch, jahrelang stand sie vor mir auf dem Frührstückstisch und jahrelang wurde die Ecke des Milchkartons, damals noch ohne Schraubverschluss und in der Form eher einem Backstein gleichend, nach oben geklappt und mit der Schere aufgeschnitten. Obwohl da "Knick und ab" über so einer rot-weiß-gestrichelten Linie stand, habe ich es in meiner ganzen Kindheit nicht einmal erlebt, dass meine Eltern die Packung ohne Hilfsmittel geöffnet haben. Ich habe es, glaube ich einmal versucht, bin aber gescheitert und habe die Ecke dann aufgekaut und aus der porösen Öffnung sabberte die Milch dann unsauber heraus. Erst später sah ich in vollkommener Ehrfurcht wie WG-Mitbewohner den "Knick und Ab" Befehl Kraft ihrer bloßen Hände und mit Leichtigkeit ausführten...dann kamen die Schraubverschlüsse und mit ihnen die Bequemlichkeit und noch mehr Müll. 

Zurück in die Kaufhalle: Ich hatte also die zwei "Zutaten" für meine Cerealienfestmahl beisammen und trat den Heimweg an. Dort, dank mangelnder Impulskontrolle und dem sofortigen Genussverlangen, öffnete ich die Verpackung (erst den Karton aufreißen, so dass die Lasche zum Wiederverschließen kaputt geht, dann die Folie mit den Cerealien so weit, dass beim Schütten die ein Viertel in die Packung, ein Viertel auf den Boden und die andere Hälfte in die Schüssel fällt) und bereite mir meine Mahlzeit zu. 

Die korrekte Menge Milch, so dass die kleinen Erdnussmaisbälle schwimmen, aber nicht zu schnell durchweichen, ein kleiner Löffel hinein getunkt und zum Mund geführt und dann: Ekel ob der Konsistenz und es Geschmacks. Gar nichts war knusprig, eher und das trotz Benetzung mit Milch staubig und gleichzeitig merkwürdig klamm, wie eine nicht ganz trockene Bettdecke. Dazu ein Geschmack, der jede Süße vermissen ließ, die doch der Clou an Cerealien ist. Jahrelang blieben dadurch Eltern in dem Glauben, dass ihre Kinder eine Gesunde Getreide-Mahlzeit aßen und dies auch noch gern, während die Brut das Zeug natürlich vor allem in Massen wegspachtelte, weil es zu großen Teilen aus Zucker bestand. 

Kurz gesagt: Die Erdnuss-Maisbälle waren eine totale Enttäuschung und ich konnte die Schüssel auf keine Fall aufessen. Und dann kam die Scham. 

Die Scham darüber, dass der gesamte Kauf nicht wirklich nötig war. Es war ja Brot und Käse im Haus und Obst auch. Ich sah einfach nur die Packung und konnte mich nicht zusammenreißen, war Opfer der Reizüberflutung in der Kaufhalle, bin in die Kauffalle getappt, in dieser Mischung aus Stress und Überforderung bei gleichzeitigem Wissen über hohe Lebensmittelpreise und wenig Geld in der Tasche. Und jetzt war das Produkt auch noch ungenießbar, was nichts anderes bedeutete, als dass ich die Schüssel, in der die Bällchen, langsam aufweichten und zerfielen oder auch nicht zerfielen, ich habe sie mir gar nicht nochmal so genau angesehen, in die Toilette schütten musste. Schrecklich, zumal ich am selben Tag auch schon an anderer Stelle Essen wegschmeißen musste, weil es meiner Rückkehr an diesen Ort längst vergammelt wäre und eine Armee von Fliegen die Herrschaft übernommen hätte. Das war alles nicht gut. 

Am nächsten Tag holte ich mir dann noch eine andere Packung Cerealien, bekam zumindest noch ein süßes Geschmackserlebnis wie ich es mir gewünscht habe. Es war die Packung mit dem Affen drauf.

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