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Allfrei/Dornenvoll


Ich fegte Lindenblüten, die jeden Tag aufs neue auf den Fußweg übersäe n mit einem Reißigbesen auf die Straße. Dabei sah ich aus dem Augenwinkel ein großes akkugetriebenes Auto und es schien mir, als zucke das Auto vor den Blättern zurück, die ich in die Richtung seiner Front, also seines Gesichtes fegte. Und ich dachte darüber nach, wann Maschinen und Geräte Emotionen, bzw. Reaktionen Lebewesen einprogrammiert bekommen, damit wir Menschen uns noch mehr an sie binden. Das Auto, dass wie ein erschrockenes Tier kurz zurück weicht und Mitleid erzeugt, das Smartphone das kichert, wenn es an einer bestimmten Stelle des Touchscreens berührt wird...und der Mensch spürt, dass da etwas mit Gefühl auf sein Handeln reagiert und nicht nur einen Befehl ausführt. 

Der nächste Schritt ist die emotionale Manipulation des Menschen durch das Gerät, so dass dieser sich an das Gerät bindet, mit dem Gerät an den Hersteller und schon gibt es für den mehr Gewinn. Denn, es ist ja nicht so, dass hinter so etwas die Idee einer freundlicheren Welt steckt. Am Ende geht es darum effizient Produkte zu verkaufen, um Kundenbindung und wenn der Mensch der Kunde ist, bindet man ihn am besten mit Emotionen, mit einem guten Maß aus Bindung und Abweisung. 

Schon jetzt bin ich erstaunt, wie viele menschliches in so einem Smartphone steckt, all die Nachrichten, die hin und her geschickt, die Gespräche die geführt wurden, die Notizen und auf den Computern, die Songs, die aufgenommen wurden und erst die Fotos. Irgendwann ist in dem Gerät mehr Mensch als im Mensch selber. Wir werden eins mit dem Gerät oder umgekehrt. Dabei geht es auch um die Idee, dass der Mensch die Summe seiner Erlebnisse und Erinnerungen ist, also ein Datensatz - und wenn nur diese Erinnerungen in ihrer Gänze speicherbar wären, der Mensch unsterblich werden könnte. Wäre da nicht der Körper, der das Geistwesen beherbergt. Und auch wenn manche behaupten, der Körper muss überwunden werden, scheint er doch für die menschliche Existenz wichtig, für das Fühlen und Tasten, das haptische Erleben. Zumindest so lange, bis dieses Erleben so gut simuliert wird, dass es uns nicht mehr als Simulation erscheint. 

Mir fiel auch letzte Nacht auf, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Traum und Wachzustand nicht unbedingt in den dort ausgeführten Handlungen zu finden ist, denn zumindest meine Träumen sind sehr häufig von realistischer Natur. Innerhalb eines Jahres habe ich vielleicht 3 abstrakte Träume und wenn es mal um Monster oder Zombies geht, weiß ich im Traum, dass ich gerade einen Film erschaffe. Nein, heute früh stellte ich fest, dass es in Träumen keine Gerüche gibt und dies ein Hauptunterschied zum Wachsein ist. Schmerzen gibt es. Ich habe im Traum die Fingerkuppe meines rechten Zeigefingers betrachtet und sie schmerzte. Aber als ich aufwachte spürte ich auch meine Haut, den Luftzug der über sie strich, Roch den Schweiß und den von den Straßen langsam aufsteigenden Staub. 

Wie riecht denn Staub eigentlich? Hat er einen Geruch oder ziehen sich die Schleimhäute der Nase durch die Trockenheit einfach zusammen? Nein, da schwingt so ein leichter Modergeruch mit, den frische Erde an sich hat, leichte Fäulnis, denn Erde ist ja verwesende Biomasse. Aber als Staub eben schon getrocknet und dann erinnert man sich an verschiedene Staubsituationen. Ich war mal vor 3 Jahren in einem Kiessteinbruch mit dem Fahrrad unterwegs, da roch es auch so. Und ich weiß noch, dass ich ganz erstaunt war, dass so nah an der Stadt, also eigentlich direkt hinter den Häuserblöcken und dem Fastfoodladen eine fast schon western-mäßige Steppe lag. 

Felsige Abhänge, Staubschwaden und trockenes Gestrüpp durch dass ich auf einem dünnen trockenen Pfad fuhr. Über mir ein blauer Himmel und als ich einmal zu wenig Schwung hatte beim erreichen einer Anhöhe, fiel ich der Schwerkraft zum Opfer und kippte zur Seite in einen Dornenbusch, lachte und spürte den Schmerz, war mir sicher, dass es kein Traum war, weil ich die Blätter roch, stand wieder auf, was, wenn man in ungünstiger Verrenkung unter einem Fahrrad liegt manchmal gar nicht so einfach ist und schnell auch zu Panik und Hilflosigkeit führen kann, weil die übliche Hebelwirkung der Arme und das Schwungholen nicht funktioniert. Irgendwann mit ein bisschen Strampelei geht es dann doch. Und trotz allem blitzt in meinem Kopf in solchen Situationen ganz kurz der Gedanke auf, dass ich jetzt hier liegen bleiben muss, weil die physikalischen Gesetze herrschen, die es einem Körper erst ab einer bestimmten Schwungmasse erlauben, sich selbst wieder aufzurichten. 

Doch ich schaffte die Aufrichtung, schob das Fahrrad die tückische Anhöhe herauf und verließ nach einiger Zeit die stadtnahe Steppe wieder um auf asphaltierten Wegen zurück ins vertraute Häusermeer zu gelangen. Eigentlich ist es gar kein Meer, vielleicht von oben, aber wer nicht gerade großzügig von Piloten auf Rundflüge eingeladen wird, der sieht die Häuser meist von der Erdoberfläche und da wirken sie doch weniger wie ein Meer, sondern vielmehr wie hohe Mauern, die den Blick über den Käfigrand versperren. 

Das einzige was mir zu Gebäuden im Sinne eines Gewässers einfällt sind Wellen von apokalyptischen Ausmaß...die Häuser selbst als die haushohen Wellen, die uns bedrohen und auslöschen. Und Träumen kennt man doch diese Wellen, denen man an einem Strand gegenüber steht. Und wie fühlt sich das an? Ich empfinde dann im Traum auch einen gewissen Reiz und eine Gelassenheit darin, diese Wand auf mich zurauschen zu sehen und nichts tun zu können. Sicherlich eine Strategie des Körpers die Stresssituationen des Alltags im Traum zu verarbeiten oder dem Geist Möglichkeiten aufzuzeigen, wie er damit umgehen kann. Und gleichzeitig macht ihm der Körper damit auch klar, dass Geist ihn braucht und nicht so schnell loswerden wird. 

Überhaupt, die Idee des Geistes durch das Verlassen des Körpers und die Verwandlung in einen Datensatz unsterblich zu werden ist etwas zu kurz gedacht. Denn auch die Datensätze haben ja Körper, also Festplatten und die brauchen auch Energie und diese ist bekanntlich nicht unendlich vorhanden.

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