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Rollen wie/Disco dollars

Ich muss immer mal durchs Rosenthal, nicht nur um auf den Rücken zu fallen und dabei teure Lampen zu Bruch gehen zu lassen (siehe ein früherer Beitrag), sondern auch um Dinge zu liefern oder abzuholen. Oh, wie gern wäre ich ein Kurierfahrer und keiner auf einem Fahrrad sondern in einem Transporter. Gerne Medikamente oder Computerteile und gerne auch mit Überlandfahrten, also auch Medikamente in die Dorf- oder Kleinstadtapotheken bringen. Ich würde Musik hören, immer mit etwas überhöhter Geschwindgkeit durch die Landschaft rauschen und Pause würde ich am Tagebau machen, dem ich beim Fluten zu sehe. Wann wird er wahr, der Traum der Fahrerei? Es liegt in meiner Hand.

Während ich das dachte, überquerte ich gerade die Straße, die durch den Wald am Rosenthal führt, in dem ich bisher noch keine Rose sah nur staubiges oder schlammiges Wiesenübel. Ich sah auf der anderen Straßenseite eine Baustelle. Es ist noch nicht lange her, da stand dort ein Kirchenneubau, also so ein quadratischer Turm mit Licht-Perforationen und einem Kreuz, schön modern und nicht gleich als Kirche zu erkennen - also so wie viele Werbung heutzutage nicht gleich als Werbung zu erkennen ist. An diesem Tag aber hing an dem Turm ein Plakat mit der Aufschrift: "Hier entsteht neuer Wohnraum" von Immobilienfirma "XY" verwirklicht. Und daneben machte sich ein Bagger mit seiner spitzen Schaufel bereits am Fundament des Kirchturms zu schaffen. 

Unglaublich, dachte ich, wann wurde denn zum letzten Mal eine Kirche für Wohnraum abgerissen? Sowas kannte ich nur aus Erzählungen aus der Zeit der DDR und selbst da war es meist Zweckentfremdung. Aus einer Kirche wurde zum Beispiel eine Turnhalle oder eine Molkerei, unbewusst geweihte Milch (Weihenstephan) sozusagen. Denn ich glaube nicht, dass vor dem Umbau noch irgendein Pfarrer gebeten wurde, das Gebäude zu entweihen. Wie es sich mit dem Gebäude an dem ich vorbeifuhr verhielt, weiß ich nicht. Wer weiß von welchen Geistern die zukünftigen Bewohner besucht werden. 

Am anderen Ende des Waldstücks bin ich an einer Werbung für eine Sportsendung vorbeigefahren, dies auch schon mehrmals und, als wäre es ein "Timelineshift", stellte ich mit leichter Verwirrung folgendes Fest: Beim letzten Mal, als ich an dem Plakat vorbeifuhr trug der im Halbportrait abgebildete Sportmoderator eine Lederjacke im Bikerstil, lange Haare und eine Aviator-Style-Sonnenbrille und sah damit ziemlich rockig aus: Verschränkte Arme, schmaler Mund - so wie ein harter Mann eben aussieht. 

Diesmal aber, waren alle Details exakt genauso, nur dass er keine Brille aufhatte und damit komplett anders aussah - nämlich viel sanfter, weicher und etwas freundlicher und ein bisschen weniger cool. Und ich fragte mich, ob das Motiv geändert wurde, weil sich die Leute aus dem Management darüber beschwert haben, dass der Moderator so zu cool aussehen würde? Kurze Anmerkung: durch die exakt selbe Pose wurde deutlich, dass die Brille später im Bildbearbeitungsprogramm hinzugefügt wurde, was gar nicht cool ist. Sind die Einschaltquoten bzw. Klickzahlen seiner Sendung zurück gegangen und es wurde auf die Brille geschoben? Wer erfasst und verarbeitet solche Daten eigentlich? Und wer verlor Aufgrund der Fehlentscheidung seinen Posten oder bekam zumindest richtig Ärger? 

Ich selbst war mir gar nicht so sicher, ob ich den Mann jetzt sympathischer fand. Aber darum scheint es zu gehen: Wie viel Sonnenbrille braucht er, um cool genug zu wirken, dass Interessierte seine Sendung hören/sehen und was ist zu viel, also zu kühl, so dass das Kundenauge daran abgleitet? Über so etwas denke ich nach, beobachte generell Werbung mit interessierter Skepsis. Und ich stelle fest, dass immer mehr Produkte "positive" Botschaften auf ihren Verpackungen tragen, die mir langsam etwas penetrant erscheinen. 

Auf Duschprodukten wird immer mehr damit geworben, dass in der Flasche eine "Auszeit" oder "Entspannung" enthalten ist, ein "Sommertraum", usw...auf einer Teepackung las ich "Das will ich"...und da sind wir doch schon fast beim Sujet von Carpenter's "Sie leben" wo ein Mann eine Brille trägt, die ihm die wirklichen Botschaften der Werbungen und Zeitungen zeigt (konsumiere, unterwerfe dich, vermehre dich), denn die Welt wird von Außerirdischen kontrolliert, die gehäutete glänzende Gesichter haben. Das kann er dann auch mit der Brille sehen. Er dreht natürlich durch und versucht andere Menschen von seiner Erkenntnis zu überzeugen, usw... 

Allerdings scheinen mir die Aufschriften auf den Produkten in der wirklichen Welt wesentlich unverdeckter als jene in dem Film. Denn warum steht denn auf dem Tee "Das will ich..."? Damit ich glaube, dass ich genau diesen Tee will. Was aber, wenn ich den Tee "wirklich" will, weil er gut schmeckt, ihn aber aus Prinzip nicht kaufe, weil ich diese Art von Manipulation nicht unterstützen will? Für eine Kauferfolg müsste also drauf stehen: "Das will ich, aber nicht, weil es da drauf steht, sonder ich weiß, dass der Tee gut ist." Viel zu kompliziert...

Selbst im Bereich der Reinigungsmittel geht es schon los, obwohl sich da bisher beim Werben immer auf das sachliche Anpreisen der gute Funktion des Produkts verlassen wurde: "Die Formel XY sorgt für strahlenden, schmierfreien Glanz"..."selbst großflächige Blutlachen lassen sich mit YZ rückstandslos entfernen". Und auch da wird mehr und mehr auf die ökologische Moral gesetzt. 

Ich unterstütze Ökoprodukte, denn ich mag die Natur, aber mir gefällt es gar nicht, wenn Produkte mit ökomoralischen Slogans versetzt werden, nur weil sie sich dann besser verkaufen, weil das Thema gerade alle beschäftigt. Das ist Heuchelei...genau so, wie die Sprüche auf den Duschbadflaschen "Gönn' dir eine Auszeit und lass dich beleben von der Frische einer Streuobstwiese"...was soll das? Ist die Dusche der einzige Ort der Entspannung oder arbeiten diese Sprüche mit der Annahme, dass ich total gestresst in der Drogerie stehe, nachdem ich Ärger bekommen habe, weil ich ihm Gremium für den Plakatentwurf mit der Sonnenbrille gestimmt habe und beim Lesen so einer Aufschrift in mir die Hoffnung aufkeimt, Erlösung von meinem schrecklichen Alltag zu erfahren, wenn ich etwas von der parfümierten Seife auf meiner Haut verreibe? 

Jetzt habe ich mich in Rage geschrieben...Ich mag doch diese Rosenthalduftduschbäder. Warum also dieses Gemecker? Ganz einfach: Weil ich nicht ständig emotional von Produkten manipuliert werden will. 

Was spricht dagegen, sich beim Aussuchen des Produkts auf die Nase zu verlassen, die vorderste Duschflasche im Regal kurz aufzumachen, den Duft zu prüfen, ihn für gut zu befinden und dann die zweite oder dritte dahinter mit an die Kasse zu nehmen, weil alle ja an der ersten Schnuppern und sie dann schon ganz abgegriffen ist und der Deckel ausgeleiert? 

Nichts.

TV

PS: Ein weiterer Kandidat für die Liste der Dinge, als die ich nicht wiedergeboren werden möchte: Erste Duschbadflasche im Regal

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