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Gläubiger Pfarrer/Religiöser Priester

Wer auf dem Fahrrad unterwegs ist, weiß, wie wichtig Handzeichen im Verkehr sind, die ein Abbiegen anzeigen. Nichtsdestotrotz, ganz sicher bin ich mir nie, ob die hinter mir fahrenden Autos meine Zeichen und mich sehen und dann auch respektieren. Sehr lange hielt ich den Arm auch nur sehr locker ein Stück vom Körper weg und nur der Zeigefinger, leicht aufgerichtet, deutete meine Richtungsänderung an. Möglichst cool, lässig. Und natürlich ohne das innere Bibbern zu zeigen. Vielleicht hatten diese Arten von Armhaltungen auch politische Hintergründe. 

In den heutigen Tagen scheint es mir, als seien die Verkehrsteilnehmer in ihrer Masse wesentlich aggressiver. Alle sind schneller unterwegs, abgekapselter, mit der Aufmerksamkeit woanders. Beim Fahren von A nach B wird viel mehr an B gedacht, an das Erreichen des Ziels, als an die Bewegung in der man sich gerade befindet. Kenne ich. Andererseits kann es schon immer so gewesen sein und ich war früher einfach nicht im Berufsverkehr unterwegs, glitt in den stillen Stunden des Mittags oder der Mitternacht über die Nebenstraßen, wenn Handzeichen nicht so wichtig waren. Heute ist es anders, ich hebe den Arm zur Abbiegeabsicht sehr deutlich in einer schnellen zackigen Bewegung, die einer umgedrehten weit ausholenden Ohrfeige gleicht. Also Arm im Ellenbogen leicht angewinkelt mit waagerechter Hand vom Körper im Winkel von ca. 50 Grad weg und fest in den Fahrtwind gehalten. 

Dabei fiel mir schon öfter auf, wie nah diese Geste insbesondere mit dem rechten Körperteil ausgeführt am Hitlergruß entlangschrammt, vor allem, wenn der Arm doch mal gerade ausgestreckt und vielleicht durch den Fahrtwind etwas nach oben gedrückt wird. Natürlich müsste die Hand für den Gruß waagerecht sein, aber es ist schon sehr nah dran und sicher auch der Grund, warum ich früher auf Kosten meiner eigenen Sicherheit die lässige Variante vorzog. Was bleibt also zu sagen: Erhöhte Verkehrsdichte führt zu rechtsradikalen Tendenzen bei rechtsabbiegenden Radfahrerinnen und Radfahrern. 

Die andere Verkehrsgeste, die mir an mir selbst auffiel, hat einen religiösen Ursprung. Es ist die des Dankes. Meist eingesetzt, in engen Straßen in denen zwei entgegenkommende Verkehrsteilnehmer nicht gleichzeitig aneinander vorbei kommen. Handelt es sich um zwei Autos, gilt: Jenes, dass bereits weiter in die Straße eingefahren ist, hat Vorrang. Das andere muss warten. Wenn sich zwei nicht gleich starke Teilnehmer begegnen, wird der Schwächere, weil sie oder er nicht sterben will, warten. In seltenen Fällen lässt der Stärkere dem Schwächeren auch mal den Vorrang. 

Als Fahrradfahrer weiß ich dies zu schätzen und danke stets. Und zwar mit einem leichten Heben der, meist linken, Hand wobei sie sich ca. 20 cm über dem Lenker befindet. Zeige- und Mittelfinger sind locker gestreckt, während Ring- und Kleinfinger quasi in Lenkergriffhaltung bleiben. Die Hand kann auch am Lenker bleiben und nur die beiden Signalfinger werden gestreckt. Das ist sicherer. Diese Geste hält man für ca. 2 Sekunden in Richtung des anderen Teilnehmers während man ihn passiert. Und nein, das ist kein Mini-Hitlergruß, es ist eine Geste des Dankes, des Wissens, dass das, was die oder der andere gerade tat, nicht hätte sein müssen und für Mitgefühl im sonst streng geregelten Verkehr spricht. Autofahrinnen und Fahrer danken, so meine Erfahrung, seltener. 

Diese Geste hat ihren Ursprung in der christlichen Religion, wo schon der kleine Jesus auf dem Schoß seiner Mutter dieses Zeichen gibt, um jemanden oder etwas zu segnen. In meiner Grundschule, die den Namen Albrecht Dürers trug und von Motiven aus dessen Schaffen geprägt war, sah ich die segnenden Finger auch in einem Portrait des Meisters selbst. Im Verkehrsalltag ist die Zweifingersegnung natürlich auch sehr effizient, denn man muss die Hand gerade im Auto nicht vom Steuer nehmen, was ja eigentlich auch verboten ist und trotzdem, gegenüber Radfahrern setzen nicht viele Autos den Dankesgruß ein. Doch ich fahre, mit guten Beispiel voran, die anderen Teilnehmer stets segnend als Fahrradpriester durch die Straßen. Die Bremse an meinem Fahrrad quietscht übrigens so, wie der Schrei des Esels in der Weihnachtscheune.

I-A-Amen

TV

Kommentare

  1. Auf dem Weg von A nach B schrammet jeder für sich allein entlang… wie immer sehr gut geschrieben. ✨ Dir einen schönen Start in die Woche, Liebe Grüße NK

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  2. Thanks...ich seh die Kommentare manchmal erst später. Deshalb die Verzögerung. TV

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