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Abag/Zetapak


Was für ein Tod wäre das gewesen: Pseudo-Rebell-Rocker überfahren von einem Sixpack - ich wollte eine Straße mit dem Fahrrad queren, die ich mindestens drei mal in der Woche vor mir habe. Seit einem Unfall ohne Verletzungen, aber mit erheblichem Sachschaden und Schock meinerseits, weil der Besitzer, des zerstörten Fahrzeugs (Unterboden pfutsch oder futsch?) zu mir meinte, "Ich solle nach Russland abhauen oder mir gleich einen Strick nehmen.", schaue ich lieber zweimal nach rechts und links und warte, bis die Autos vorbeigezogen sind, auch wenn sie noch ein gutes Stück von der Position entfernt sind, an der ich am Rand der Straße warte. 

So stand ich auch diesmal wartend auf die sehr kurze Grünphase der Ampel an besagter Straße. Diese Phase ist so kurz, dass man es gerade mit dem Fahrrad herüber schafft, bevor das grüne Männchen wieder rot wird. Früher regte ich mich darüber auf, aber inzwischen gehe ich entspannter damit um, denn es ist eine sogenannte Bedarfsampel, dass bedeutet, dass sie, wenn eine Person die Straße überqueren möchte und dafür den "Bitte Berühren"-Taster berührt, die Ampel recht schnell reagiert und dann ebenso schnell wieder auf rot wechselt, bzw. auf grün für die Autos - denen mehr recht auf freien Fluß eingeräumt wird. 

Kurz zu den Tastern - wenn man unter so einen Tastern greift, weil man Zeit hat oder neugierig ist, spürt man einen Druckknopf mit einem Pfeil. Der Pfeil dient Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit dazu, die Richtung zu erkennen, in der sich die Straße befindet. Wer nun diesen Knopf drückt, wird erstens eine Grünphase bekommen und zweitens das klickende Geräusch aktivieren, dass akustisch signalisiert, wann die Ampel auf grün schaltet. Diesen Druckknopf gibt es an besagter Straße nicht und ich saß auf meinem Rad und stützte mich mit einer Hand am Ampelmast ab, spürte das durch den Schweiß vieler sich dort abstützender Hände angeweichte Metall auf meiner Haut, hatte kurz hygienische Bedenken - aber da sprang die Ampel auf grün und ich fuhr los. 

Eine Frau auf der gegenüberliegenden Seite, sie trug Outdoorkleidung und stützte sich ihrerseits auf zwei Nordic-Walking Stöcke, sah mich an und warf mir ein dreifaches strenges "Stop, Stop, STOP!" entgegen. Ich reagierte, in dem ich abstieg, hatte ich doch noch gar nicht richtig Fahrt aufgenommen und verstand ihr energisches Rufen erst eine Sekunde später, als ein Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei rauschte. Sie hatte dieses Sixpack schon von weitem gesehen, während ich mich dem haptischen Dialog mit dem Metall des Ampelmastes hingab. Ich wiederum bekam es erst mit, als es seine Sirene anwarf, was reichlich spät geschah - defacto so spät, dass es mich voll erwischt hätte, wenn die Frau mich nicht mit ihrem Ruf gestoppt hätte. Bei der Geschwindigkeit des Polzeifahrzeugs, ca. 80Km/h wäre ich 25 Meter durch die Luft geflogen und gestorben. 

Die Frau und ich hatten dann die Grünphase natürlich verpasst und Zeit für Kommunikation - ich rief ihr ein höfliches "Danke" auf die andere Straßenseite und sie antwortete mit einem leicht strengen "Bitte", dass Spuren von mütterlicher Ermahnung enthielt. Als wir dann die Straße überquerten, ich schob mein Rad wie ein Schulkind, und uns in der Mitte trafen, wiederholte ich mein Danke etwas sanfter und sie nickte und wir gingen, bzw. fuhren unserer Wege. 

Alternativ, so denke ich gerade, hätte in diesem Moment auch folgendes passieren können: Nachdem sie mich vor dem merkwürdigen Tod durch Sixpack bewahrt hatte, wären wir beide über die Straße gegangen und hätten das zweite Sixpack nicht mitbekommen, dass zu dem selben Einsatz geordert wurde. Vollkommen überzogen übrigens, da es sich bei der Vollzugsmaßnahme lediglich um die Feststellung der Personalien zweier illegal Plakatierender gehandelt hätte. Wir wären dann beide durch die Luft geflogen und unsere entsetzten Blicke hätten sich in der Luft noch einmal getroffen und Tropfen unseres Blutes vermischt bevor wir auf dem Boden aufgeschlagen und unseren Weg ins Jenseits gemeinsam bestritten hätten. So war es aber nicht. 

Wir sahen uns bisher nie wieder und ich stellte fest, dass der Gedanke, eben fast getötet worden zu sein nicht sehr lang in meinem Geiste verweilte. Vielleicht ist das ein Schutzmechanismus des Lebens. So schnell wie der Moment kam, war er auch schon wieder vorbei - eine Sache von Sekunden - und mein Leben ging weiter, obwohl es hier auch hätte Enden können. 

Das Leben verschwendet nicht viele Gedanken an den Tod, denn es weiß, dass es jeden Moment vorbei sein kann und sorgt lieber dafür, dass sich der Mensch, in den es gefahren ist, welchen es als Wirt benutzt, mit den Funktionen von Ampeltastern auseinandersetzt, so dass er sich über die Belanglosigkeit seines Parasiten, seines Lebens möglichst nie bewusst wird und glaubt, es hätte Bedeutung, glaubt, er, der Mensch, wäre das Leben. Nachher werde ich wieder an der Ampel stehen.

TV

Kommentare

  1. Ich bin unendlich froh, dass du noch lebendig bist!

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  2. Hier musste ich laut lachen: „während ich mich dem haptischen Dialog mit dem Metall des Ampelmastes hingab.“ Und poetisch fand ich die Frage ob wir so etwas wirklich schnell abtun? Na auf jeden Fall hast du doch iw eine Lebensschuld bei dieser Frau. Und ich bin verdammt froh das es euch beide nicht erwischt hat. Wie immer sehr gut, beste Grüße N

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    1. Ja, genau über die Feststellung des schnell Abtuns kam ich dann auf die Idee, dass wir nur Wirte des Lebens sind. Danke T

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  3. Ja- das Bild "haptischer Dialog" ist toll. Und auch der letzte Absatz, in welchem die "Parasiten-Theorie" aufgestellt wird ist sehr schön spielerisch philosophisch. Take care!
    \w/
    S.

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